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Künstliche Intelligenz: Helfen Maschinen bei der Suche nach Sinn?

Gebete an den Algorithmus? Immer mehr Menschen suchen etwa bei ChatGPT nach Halt und Orientierung. Philosophie und Kirche sehen neue Rituale entstehen – aber auch Gefahren.

Künstliche Intelligenz soll bei der Suche nach Sinn helfen
Künstliche Intelligenz soll bei der Suche nach Sinn helfenImago / Ikon Images

Sie heißen ChatGPT oder Gemini, und sie scheinen auf jede Frage, in jeder Lebenslage eine Antwort zu wissen. Menschen führen mit den Maschinen bisweilen psychologische Gespräche oder suchen nach spirituellem Austausch. Die Künstliche Intelligenz (KI) beteiligt sich an einem persönlichen, reflektiven Zwiegespräch – nimmt also den Rang eines menschlichen oder gar göttlichen Gesprächspartners ein.

Diese Entwicklung beleuchtet Claudia Paganini in ihrem neuen Buch “Der neue Gott. Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche”. Statt ein Gebet zu sprechen oder zu meditieren, könnten auch Fragen an eine KI zu einem Ritual werden. Eine spirituelle Dimension entstehe, wenn es darum gehe, “Orientierung und Sinn in einer herausfordernden Situation zu finden”, sagte die Philosophin kürzlich im Deutschlandfunk.

Warum KI bei pastoraler Arbeit scheitert

Eine klare Grenze beim KI-Einsatz im pastoralen Bereich sieht dagegen der Medienpädagoge Andreas Büsch: Das sei Beziehungsarbeit, die eine KI letztlich nicht zu erfüllen in der Lage sei – höchstens zu simulieren. Die Software errechnet Wahrscheinlichkeiten dafür, welche Antwort am besten zu einer Frage passen könnte. Zudem stimmen Fakten bei weitem nicht immer: Mittlerweile ist bekannt, dass KI immer wieder “halluziniert” – und das wird auch bei weiterem Training vorkommen.

Das Besondere an dieser Technologie sei jedoch, dass sie sehr schnell auf enorme Datenmengen zugreife und daraus sinnvoll anmutende Antworten erstelle: Daher nenne sie sich “generative KI”, erläutert Büsch. Simple Routineaufgaben könne sie gut übernehmen – Menschen neigten allerdings dazu, diese Funktion zu überschätzen.

Das bestätigen wissenschaftliche Erkenntnisse: Viele Menschen interpretierten die beachtliche Leistungsfähigkeit von KI “als Ausdruck von Urteilskraft, Empathie, Einsicht”, erklärt der Kognitionswissenschaftler Eric Schulz, Direktor am Institut for Explainable Machine Learning des Helmholtz-Instituts München, auf der Institutswebseite. Trotz ähnlicher Verhaltensmuster zwischen Mensch und Maschine “gibt es jedoch bedeutende Unterschiede, insbesondere im Verständnis und in der Empathie”.

Zahlreiche Tipps in wenigen Sekunden

Die Anmutung eines Austauschs entsteht durch das Sofware-Design eines Chats. Wer eine Frage tippt, kann zusehen, wie sich das Fenster innerhalb von Sekunden mit zahlreichen Tipps füllt. Das hat etwas Mächtiges, fast Magisches, gar Göttliches – wie Paganini schreibt. Büsch dagegen verweist auf die Fehlerhaftigkeit von KI, auf ihre Unvollkommenheit und Begrenztheit, allein schon durch die begrenzte Datenbasis.

Der katholische Theologe sieht zudem ein religiöses Problem: Der Vatikan nennt eine Überhöhung von KI in der Note “Antiqua et Nova” einen “Götzendienst”; in einem Papier der Deutschen Bischofskonferenz von 2020 findet sich dafür der Begriff Gotteslästerung. Das Vatikan-Schreiben vom Jahresbeginn befürwortet derweil eine Weiterentwicklung der Technologie in eine positive Richtung.

So heißt es vom Vatikan: “Eine große Herausforderung und Chance für das Gemeinwohl liegt heute darin, diese Technologie in einem Horizont relationaler Intelligenz zu sehen, welche die Vernetzung von Individuen und Gemeinschaften betont und die gemeinsame Verantwortung für das ganzheitliche Wohlergehen der anderen hervorhebt.” Genau darum müsse es gehen, betont Büsch: zu vermitteln, über das individualistisch-naive Ziel “was kann ich für mich rausholen” hinauszugehen – und die Welt friedvoller, gerechter und würdevoller zu gestalten.

Papst Leo XIV. will KI in Fokus nehmen

Mit dem ersten “digitalen” Papst sei das Thema KI jetzt um so mehr in die Öffentlichkeit gerückt, sagt Sozialethikerin Anna Puzio im Interview des Nachrichtenportals katholisch.de. Leo XIV. wolle Fragen der sozialen Ungerechtigkeit, die durch KI verschärft würden oder neu entstünden, noch stärker in den Mittelpunkt stellen. Außerdem betone er die Auswirkungen neuer Technologien auf Arbeit und die arbeitenden Menschen.

In diesem Zusammenhang ist es laut KI-Expertin Puzio wichtig zu verstehen, dass es KI als abstraktes Gegenüber nicht gibt – sondern dass an ihrer Stelle eine materielle Industrie steht, in der viele Menschen und die Umwelt mitunter ausgebeutet werden. Beispielhaft nennt sie einen großen Energieverbrauch sowie den Kampf um Seltene Erden, die für die Herstellung bestimmter Computer-Chips gebraucht werden. Dies sieht auch Philosophin Paganini als handfeste Probleme.

Facebook will “Meta AI” mit Beiträgen füttern

“Die Firmen haben natürlich selten – um nicht zu sagen: nie – eine Motivation, das Leben anderer Menschen zu verbessern. Das ist nur das Werbeversprechen”, mahnt Büsch. Ab dem kommenden Dienstag soll die KI-Software “Meta AI” mit öffentlichen Beiträgen europäischer Nutzer gefüttert werden. Noch bis Montag ist Zeit, beim US-Konzern Meta dagegen zu widersprechen, dass persönliche Daten aus Postings auf Facebook oder Instagram für das KI-Training genutzt werden. Der Konzern braucht mehr Daten: Falls nämlich, der Datenzustrom abbreche und die KI nur noch auf selbstgenerierte Inhalte zugreifen könne, statt auf menschengemachte, drohe sie immer “dümmer” zu werden, erklärt Büsch. Sogar ein Kollaps das Modells sei dann möglich.