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Kritik an Polizeistatistik – Verband: “Grenzen und Verzerrungen”

Wenn es um antisemitisch motivierte Straftaten geht, habe die Polizeistatistik Lücken, bemängelt der Bundesverband Rias – und legt dazu eine Studie mit Empfehlungen vor.

Beim Antisemitismus hat die Polizeistatistik zu politisch motivierter Kriminalität aus Sicht von Fachleuten nur eine begrenzte Aussagekraft. Zugleich komme dieser Statistik in Politik und Gesellschaft aber eine große Bedeutung zu, heißt es in einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Studie des Bundesverbands der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias). Es sind Ergebnisse des Projekts “Austausch von Polizei und Zivilgesellschaft zu Antisemitismus”, das von Rias getragen wird.

Kritisiert wird, dass Taten manchmal nicht als antisemitisch erkannt würden. Das passiere etwa, wenn Judenhass nicht in “klassischem” rechtsextremen Gewand daherkomme; und es könne bei israelbezogenem Antisemitismus der Fall sein, der für manche Polizeikräfte jenseits des Staatsschutzes schwieriger zu erkennen sei.

Hinzu komme, dass Delikte lange dem Bereich “rechts” zugeordnet worden seien, wenn keine näheren Angaben zum Hintergrund vorlagen. Laut der Studie wurde dieses Vorgehen 2024 aber nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgesetzt.

Rias moniert zudem, dass die Perspektive von Betroffenen nicht immer ausreichend berücksichtigt werde. Das könne dazu führen, dass sie sich nicht ernstgenommen fühlten und einen Vorfall nicht anzeigten – der dann auch in keiner Statistik lande. Der Fokus liege stattdessen auf Tatverdächtigen und ihren – nicht immer leicht nachweisbaren – Motiven.

Als ein Fazit hält die Studie fest, dass “Grenzen und Verzerrungen” der Statistik zu politisch motivierter Kriminalität offengelegt werden müssten. Die Studie basiert den Angaben zufolge auf der Auswertung von Polizeistatistiken sowie Interviews mit Fachleuten zwischen März und Dezember 2023.

Für 2024 erfasste die Statistik einen Anstieg antisemitischer Delikte um knapp 21 Prozent auf rund 6.200 (Vorjahr: 5.200) – ein Höchststand. Fast die Hälfte der Fälle wurde dem rechten Spektrum zugeordnet, knapp ein Drittel ausländischer Ideologie. Seit dem 7. Oktober 2023 haben antisemitische Delikte in Deutschland deutlich zugenommen. Rias registriert auch Vorfälle, die keine Straftaten sind: 2024 wurden 8.627 Fälle dokumentiert (plus 77 Prozent).

Der Geschäftsführer des Rias-Bundesverbandes, Benjamin Steinitz, forderte in der Studie, dass Polizeikräfte aller Dienstgrade antisemitische Delikte konsequent erkennen und verfolgen müssten. Grundlegend sei ein Austausch mit zivilgesellschaftlichen Projekten und jüdischen Gemeinschaften. Der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, erklärte in einem Grußwort, es wäre hilfreich, Polizeidaten besser interpretieren zu können.

Der Potsdamer Antisemitismusforscher Gideon Botsch wird in der Studie damit zitiert, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik zwar Aussagen darüber zulasse, was die Polizei tut. Sie spiegele aber weder die juristische Bewertung durch Gerichte noch das “reale Fallgeschehen” wider. Botsch gab zu bedenken, dass ein Anstieg von Ermittlungen mitunter auch daran liegen könne, dass die Bereitschaft zur Anzeige oder die Aufmerksamkeit der Polizei für ein Problem gestiegen sei.