Der Kriminologe Manuel Heinemann fordert eine bessere Vernetzung von Polizei und Zivilgesellschaft. Eine niedrigschwellige Meldestelle könne helfen, Radikalisierung frühzeitig zu erkennen – ohne direkten Polizeikontakt.
Nach den jüngsten Attentaten in Aschaffenburg, München und Villach in Österreich fordert der Kriminologe Manuel Heinemann, institutionalisierte Meldewege zu schaffen. “Wir brauchen eine stärkere Vernetzung von Polizei und Zivilgesellschaft”, sagte Heinemann am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bayreuth. Die meisten Hinweise im Vorfeld einer Tat würden sich im privaten Umfeld und beim Arbeitgeber zeigen. “Sie werden in der Regel nicht interpretiert, missinterpretiert oder nicht weitergegeben”, erklärte Heinemann, der als Berater im Bereich Gefahrenmanagement tätig ist sowie als Lehrbeauftragter für Kriminalpsychologie.
Deshalb brauche es eine Stelle, an die sich Menschen niedrigschwellig wenden könnten, wenn sie in ihrem Umfeld eine Radikalisierung beobachteten. Vorbild seien sogenannte Gewaltschutzzentren in Österreich, an die sich Menschen oder Einrichtungen wenden können. Diese Zentren sammelten Informationen und würden sie gegebenenfalls an die Polizei weitergeben und diese so frühzeitig “ins Boot” holen.
Der Kriminologe kritisiert zudem die “vereinfachte und beschleunigte” gesellschaftliche Debatte im Nachgang der Taten. Zielgerichtete Gewalt wie Attentate seien sehr komplex. Ihr Entstehen allein mit der Nationalität des Täters zu begründen, sei falsch. “Sozialisation, Bildung, Psyche, Geschlecht, Alter – all das spielt auch eine Rolle. Natürlich auch die Herkunft und die Migrationsgeschichte. Aber beides wird im öffentlichen Diskurs viel zu stark gewichtet”, sagte Heinemann. Die größten Risikofaktoren für eine zielgerichtete Gewalttat sind dem Kriminologen zufolge die Merkmale “männlich”, “jung” und “niedriges sozio-ökonomisches Potenzial”.
Dass die Hinterbliebenen des Münchner Anschlags am Wochenende darum baten, den Tod nicht politisch zu instrumentalisieren und Hass zu schüren, sei weiterhin eine “unheimlich couragierte, starke Botschaft”. Sie werde von Politikern leider geflissentlich ignoriert. “Ich finde es zum Beispiel unfassbar, dass sich Bayerns Ministerpräsident vor dem Tatfahrzeug fotografieren lässt”, kritisiert der Wissenschaftler. Aber auch andere versuchten sich, über die Tat zu profilieren.
Weiter bemängelt er, dass auch Medien zu schlagzeilenträchtig über solche Ereignisse berichteten. “Sie müssen ihre Verantwortung ernst nehmen. Muss man zum Beispiel Bilder des Autos zeigen oder vom Täter, wie er in Handschellen am Boden liegt?” Nachahmer würden sich von solchen Aufnahmen inspiriert fühlen. Er warnt: “Je reißerischer und mehr darüber berichtet wird, desto höher ist das Risiko für Nachahmer.”