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Kretschmann fordert von Grünen Mut in Migrationspolitik

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) drängt seine Partei zu mutigen Entscheidungen und Pragmatismus in der Migrationspolitik. Die Grünen müssten “runter von der Bremse bei der Eindämmung der irregulären Migration”, sonst komme das Asylrecht unter die Räder, sagte der 75-Jährige im Interview der “Tageszeitung” (Montag).

Kretschmann wandte sich damit auch gegen parteiinterne Kritiker, die vor einem Kurs der Abschottung warnen. “Asyl heißt: Wer verfolgt wird, kann herkommen. Das heißt aber doch auch: Wer nicht verfolgt wird, kann eben über das Asylrecht nicht kommen, sonst wird das Asylrecht ausgehöhlt”, sagte er. “Wir haben gerade eine Million ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, allein Baden-Württemberg hat doppelt so viele ukrainische Geflüchtete aufgenommen wie Frankreich. Das ist das Gegenteil von Abschottung.”

Die Kommunen seien mittlerweile schlichtweg überfordert, nicht nur bei der Unterbringung, sondern auch bei den Sozialleistungen, fügte Kretschmann hinzu. “Wir sind in einer Überlast.” Aus Sicht des Ministerpräsidenten gibt es keinen großen Hebel zur Lösung der Migrationsfrage, sondern viele kleine Bausteine. Zentral seien gemeinsame europäische Regelungen. “Aber in dieser schwierigen Lage müssen wir bereit sein, auch kleine Hebel zu ziehen. Zum Beispiel die Bezahlkarte statt Bargeld. Das ist keine Abkehr von der Humanität. Aber wir reduzieren den Anreiz für irreguläre Migration, da es die Möglichkeiten für Asylbewerber einschränkt, Geld zurück in ihre Heimatländer zu überweisen.”

Zentral sei für ihn, dass die Politik bei diesem Thema Handlungsfähigkeit beweise, betonte der Grünen-Politiker. Nur so könne verhindert werden, dass die Menschen zu den rechten Gruppierungen getrieben würden. Es gebe derzeit eine tiefe Verunsicherung in der Gesellschaft, die bis tief in die Mitte reiche. Kretschmann riet den demokratischen Parteien, bei den Sachauseinandersetzungen zu bleiben. “Suchen wir nicht einen Hauptfeind unter den demokratischen Parteien. Der Hauptfeind sind die Kräfte, die mit der Demokratie an sich im Streit liegen.”

Mit Blick auf die Lage seiner Partei sagte der Ministerpräsident, dass die Grünen ausgerechnet in Hessen mit einem höchst pragmatisch agierenden Landesverband aus der Regierung geflogen seien, “das ist schon extrem bitter. Und das muss uns als Partei wachrütteln”. Die Grünen müssten die Lehren aus den vergangenen Monaten ziehen und zeigen, dass sie Politik mit Augenmaß und Pragmatismus machen könnten – gerade bei der Migrationsfrage.

In der Klimapolitik forderte Kretschmann von seiner Partei, sie müsse “klar in den Zielen, aber offen in den Wegen sein”. Man dürfe sich nicht im Klein-Klein verzetteln: “Ob wir jetzt innerdeutsch fliegen oder nicht, ist größenordnungsmäßig einfach irrelevant. Wir müssen Windräder bauen, wir müssen Photovoltaik auf die Dächer bringen, wir müssen schnell aus der Kohlekraft aussteigen, und wir müssen grüne Technologie massiv vorantreiben, die Produktion ressourcen- und energieeffizienter hinkriegen.” Kein staatliches Konzept könne dabei so innovativ sein wie ein Markt, in dem Tausende von Menschen Ideen haben. “Da braucht man eher Preissignale, um das zu lenken.”

Der Ministerpräsident räumte ein, dass die Politik den Bürgern derzeit auf die Nerven gehe. “Die Leute haben das Gefühl, wir sagen ihnen, wie sie heizen sollen, wie sie sich fortbewegen sollen, wie sie essen sollen, und wir sagen ihnen zum Schluss sogar, wie sie reden dürfen und wie nicht.”