BONN – Noch am 31. August saßen sich die orthodoxen Patriarchen Kyrill I. und Bartholomaios I. gegenüber. Zweieinhalb Stunden besuchte der russische Patriarch den Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel in dessen Residenz in Istanbul.
Zu so einer Begegnung wird es auf absehbare Zeit nicht mehr kommen. Denn Kyrill I., Oberhaupt von schätzungsweise 150 Millionen russisch-orthodoxen Christen, hat gemeinsam mit den leitenden Bischöfen seiner Kirche Mitte Oktober beschlossen, die Kontakte zum Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel, und dessen Ökumenischem Patriarchat vollständig abzubrechen.
Verstößt Bartholomaios gegen das Kirchenrecht?
Mitgliedern der russisch-orthodoxen Kirche ist es demnach seither verboten, in den Kirchen des Ökumenischen Patriarchats zur Kommunion zu gehen oder zu beichten. Zugleich soll Angehörigen des Ökumenischen Patriarchats in russisch-orthodoxen Kirchen keine Kommunion und keine Beichte mehr gewährt werden.
„Von nun an, bis das Patriarchat von Konstantinopel seine dem Kirchenrecht widersprechenden Ent-scheidungen aufgibt, ist es für alle Geistlichen der russisch-orthodoxen Kirche unmöglich, mit Klerikern der Kirche von Konstantinopel zu konzelebrieren, und für die Laien unmöglich, die von dieser Kirche gespendeten Sakramente zu empfangen“, heißt es in der Erklärung des Leitungsgremiums der russisch-orthodoxen Kirche, des Heiligen Synods, die nach einer Sitzung in der weißrussischen Hauptstadt Minsk veröffentlicht wurde.
Betroffen sind von den Sanktionen durch die Kirche in Moskau auch die vielen russischen Geistlichen und Pilger auf dem Heiligen Berg Athos in Nordgriechenland. Der Berg und die dortigen Klöster unterstehen dem Patriarchat von Konstantinopel. Das gemeinsame Feiern von Gottesdiensten ist nun tabu. Ob sich hier alle exakt an die Vorgaben aus Russland halten werden, bleibt freilich abzuwarten.
Überworfen haben sich die beiden orthodoxen Kirchenzentren Moskau und Konstantinopel (Istanbul) im Streit um die Oberhoheit für die Ukraine. Die russische Kirche lehnt die von Konstantinopel unter-stützte Bildung einer von Moskau unabhängigen autokephalen (eigenständigen) orthodoxen Landeskirche in der Ukraine ab. Sie betrachtet das Land als ihr Territorium und befürchtet, viele Gläubige und Gotteshäuser zu verlieren. Seit 1992 ringen hier eine Kirche des Moskauer und des Kiewer Patriarchats um die Vormachtstellung. Sie unterscheiden sich nur in ihrer Haltung zu Russland, nicht aber theologisch.
Bartholomaios I. macht Moskau für die „schmerzhafte Lage in der Ukraine“ verantwortlich. „Weil Russland das Problem nicht lösen kann, hat das Ökumenische Patriarchat die Initiative zur Lösung des Problems ergriffen gemäß der ihm von den Kirchenstatuten verliehenen Autorität“, so der Patriarch bereits Anfang September. Gelingt in der Ukraine jedoch die Wiedervereinigung der orthodoxen Kirche nicht, könnte Bartholomaios I. durch den Konflikt mit Moskau stark geschwächt werden.
Die orthodoxe Kirche versteht sich trotz ihrer Aufteilung in 14 autokephale Landeskirchen als eine einzige Kirche. Die Vorrechte Konstantinopels wie die Gewährung der Autokephalie sind aber zum Teil umstritten. Wie ein Mantra wiederholt die russisch-orthodoxe Kirche ständig, Bartholomaios I. verstoße gegen das Kirchenrecht und maße sich zu viele Kompetenzen an. Moskau beansprucht für sich ein Vetorecht. Nur im Konsens dürften die Oberhäupter aller 14 Landeskirchen Entscheidungen treffen.
Streit über Estland in den 1990er Jahren
Der Abbruch der Kirchenkontakte kommt so keineswegs überraschend. In den 1990er Jahren hatten Moskau und Konstantinopel bereits über Estland gestritten. Dort hatte sich die orthodoxe Kirche gespalten in einen Teil, der weiter mit Moskau verbunden sein wollte, und einen Teil, der nach Unabhängigkeit strebte.
Als das Patriarchat von Konstantinopel die von Moskau losgelöste Kirche anerkannte, brach die russisch-orthodoxe Kirche aus Protest die Kontakte ab, ähnlich wie heute. Doch nach ein paar Jahren lenkte Moskau ein. Bis heute bestehen in Estland beide orthodoxe Kirchen. Das letzte Wort haben ohnehin die orthodoxen Gläubigen. Sie stimmen mit den Füßen ab, in welche Kirche sie gehen. So wird es am Ende auch in der Ukraine sein.