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Kommt rein!

Gastfreundschaft: eine religiöse Pflicht und gleichzeitig ein großes Wagnis. Aber eines, das sich lohnt – denn nur mit Offenheit und Vertrauen werden Fremde zu Freunden

Gastfreundschaft – da denkt man an eine lange Tafel, dampfende Schüsseln, funkelnde Gläser und fröhliche Menschen. In vertrauter Runde das Essen genießen, angeregt diskutieren und eine gute Zeit verbringen, großzügig und offen.

Aber das Wort „Freundschaft“ täuscht. Im Griechischen, und damit auch im Neuen Testament, heißt das, was wir Gastfreundschaft nennen, „Philoxenia“, also „Fremdenliebe“. Das macht den pragmatischen Kern der Sache deutlich: Seit alters her war Gastfreundschaft für Reisende eine Sache des Überlebens. Wo sonst, wenn nicht in einem Haushalt vor Ort, gab es die Möglichkeit für eine Mahlzeit und einen sicheren Platz zum Schlafen?

Gäste waren also häufig keine Freunde, sondern Fremde, die man nicht kannte und dennoch in die Familie aufnahm. Das war – und ist – in allen Religionen eine heilige Pflicht. Und die war und ist bis heute eine Herausforderung.

Denn einen Fremden, eine Fremde ins eigene Haus lassen – das ist etwas anderes als ein schönes Essen im vertrauten Kreis. Dafür muss man erst einmal eine innere Hemmung überwinden: Wer sagt denn, dass der Fremde in Frieden kommt und man ihm vertrauen kann; dass er nicht einen Verrat plant, ein Messer im Gepäck hat – oder eine heimtückische Seuche?

Andererseits: Wenn ich andere gastfreundlich aufnehme, kann ich gleiches auch von ihnen erwarten. Und: Von anderen kann ich lernen; sie bringen Neuigkeiten, erweitern den Horizont, teilen unbekanntes Wissen. So wird Gastfreundschaft zum kulturellen Werkzeug, um das angeborene Misstrauen gegenüber dem, der nicht zur eigenen Gruppe gehört, zu bekämpfen und Menschen über diese Grenzen hinweg miteinander zu verbinden. Vielleicht steht sie auch deshalb so weit oben auf der Liste der religiösen Gebote.

Wer Fremde in sein Haus lässt, muss ein Grundvertrauen in den Menschen haben – trotz der Erfahrung, dass nicht jeder Mensch in guter Absicht kommt. Und ein Grundvertrauen in Gott, der den Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hat. Im Alten Testament wie im Neuen Testament ist die Gastfreundschaft immer auch mit der Vorstellung verbunden, dass man mit dem Fremden auch Gottes Boten oder sogar Gott selbst aufnimmt. So wird von Abraham erzählt, der drei unbekannten Männern Gastfreundschaft erweist, in denen sich Gott offenbart (1. Mose 18). Im Matthäusevangelium wird ebenfalls der Dienst an Fremden mit dem Dienst an Gott gleichgesetzt (Matthäus 25). Und im Hebräerbrief heißt es „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt“ (Hebräer 13,2).
Was das Gebot der Gastfreundschaft für die Kirche bedeutet? Das Miteinander verschiedener Konfessionen und Religionen in kirchlichen Räumen; die Gemeinschaft mit Geflüchteten, mit Menschen am Rand der Gesellschaft; die Offenheit für Fragende und Zweifelnde.

Aus solchen Begegnungen wächst Vertrauen, und Fremde werden zu Freunden  – und zählen sich im besten Fall zur Gemeinschaft der Gläubigen, zur Kirche Jesu Christi.