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Kohl ließ brisante Zitate zur deutschen Einheit streichen

Die Dokumente sollten Helmut Kohl als Kanzler der Einheit strahlen lassen. Deshalb ließ er in den 90er Jahren brisante Sätze und Fehleinschätzungen aus einer Publikation herausstreichen. Jetzt kommen sie ans Licht.

Bundeskanzler Helmut Kohl hat noch während seiner Regierungszeit (1982-1998) dafür gesorgt, dass peinliche Zitate aus Verhandlungen über die deutsche Einheit 1990 nicht veröffentlicht wurden. Das zeigen am Montag veröffentlichte Recherchen des “Spiegel” aus Akten des Bundesarchivs. Es geht um Fehleinschätzungen und scharfe Urteile Kohls in Gesprächen mit ausländischen Politikern. Sie richteten sich auch gegen die katholische Kirche in Polen.

So nahm Kohl, gläubiger Katholik, der katholischen Kirche Polens und ihrem Primas Jozef Glemp laut dem Bericht übel, dass sie Stimmung gegen die Einheit und die deutsche Minderheit in Polen gemacht hätten. Glemp und die Bischöfe spielten eine “ungute Rolle”, meinte der Kanzler. Kohl hat nach eigenen Angaben sogar Papst Johannes Paul II. darauf angesprochen.

Die bislang unbekannten Zitate stammen aus Dokumenten, die Kohl vor der Bundestagswahl 1998 in einer “Sonderedition Deutsche Einheit” der Bundesregierung veröffentlichen ließ. Sie enthielt Hunderte Schlüsseldokumente zur Einheit und sorgte weltweit für Aufsehen. Allerdings wurden laut “Spiegel” in mehreren Dutzend Fällen einzelne Wörter, Sätze oder auch längere Passagen aus den Papieren ausdrücklich “nicht freigegeben”. Offenkundig wollte Kohl vermeiden, dass brisante Äußerungen öffentlich bekannt wurden.

Nicht veröffentlicht wurden auch Äußerungen des Kanzlers über den tschechoslowakischen Präsidenten Vaclav Havel. Kohl sagte laut den jetzt gefundenen Dokumenten, dieser verstehe “von Politik im Detail nichts” und solle als Staatschef der Tschechoslowakei besser nur für eine “Übergangszeit” amtieren. Doch Havel wurde nach dem Zerfall der Tschechoslowakei 1993 auch noch Präsident Tschechiens und residierte bis 2003 auf der Prager Burg – da war Kohl längst abgewählt.

Auch im Fall der Ukraine, die 1990 noch zur Sowjetunion zählte, lag Kohl daneben. Die Ukraine sei “ein Herzstück des Landes”, eine Unabhängigkeit Kiews ausgeschlossen, so der Regierungschef zu Frankreichs Staatspräsidenten François Mitterrand. Knapp zwei Jahre später war die Sowjetunion zerfallen, und die Ukraine hatte ihre Souveränität erlangt.