Eine saubere Umwelt ist ein Menschenrecht, Klimaschutz eine völkerrechtliche Pflicht: Mit seinem Gutachten vom 23. Juli hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag Rechtsgeschichte geschrieben. Erstmals legte das höchste UN-Gericht fest, dass alle Staaten zum Schutz des Klimas verpflichtet sind – und für ihre Untätigkeit grundsätzlich auch haftbar gemacht werden können. Das Gutachten gibt damit einer globalen Bewegung von Klägerinnen und Klägern Rückenwind, die juristisch Druck macht, weil politisch zu wenig passiert.
Weltweit nehmen solche Klimaklagen zu. Laut einem Bericht des Londoner Grantham Research Institute wurden seit 1986 rund 3.000 Fälle eingereicht, davon 226 allein im vergangenen Jahr. Deutschland zählt demnach zu den Ländern mit besonders vielen Verfahren. Unter Klimaklagen fallen sowohl Verfahren gegen Unternehmen als auch der Versuch, Regierungen juristisch zu mehr Klimaschutz zu bewegen.
Mit dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichtes wurde in Deutschland bereits 2021 ein Präzedenzfall geschaffen: Erstmals bezogen die Richterinnen und Richter die Freiheitsrechte künftiger Generationen ein und verpflichteten die Regierung, über das Jahr 2030 hinaus konkrete Reduktionsziele vorzulegen.
Doch die Euphorie ist inzwischen gedämpft. „Die Gerichtsbarkeit kann nur Anstöße geben“, sagt die Klimarechtsexpertin Jannika Jahn vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. „Die Justiz ist dazu da, den rechtlichen Rahmen vorzugeben – die Politik muss ihn ausfüllen.“ Umweltschützer kritisieren die Klimapolitik der Bundesregierung und Kanzler Friedrich Merz (CDU) als zu ambitionslos.
Auch zivilrechtliche Verfahren gegen Unternehmen bleiben mühsam. Ein Beispiel ist der Fall des peruanischen Bergbauern Saúl Luciano Lliuya, der den Energiekonzern RWE für Klimaschäden in den Anden mitverantwortlich machen wollte. Nach mehr als zehn Jahren Rechtsstreit wurde die Klage im Mai 2025 abgewiesen – und dennoch gilt der Fall als Teilerfolg: Denn das Oberlandesgericht Hamm stellte grundsätzlich fest, dass Unternehmen für Klimaschäden mitverantwortlich gemacht werden können. Nur sah es in dem konkreten Fall keine ausreichenden Belege für eine Gefährdung des Grundstücks des Klägers. Laut Grantham-Institut werden global derzeit mehr als 80 Klagen auf Grundlage des Verursacherprinzips verhandelt.
Erfolgversprechender sind laut Jahn Klagen gegen Staaten. So hat etwa der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Schutz vor Klimarisiken als Grundrecht anerkannt. Im April urteilte der EGMR, dass die Schweiz ältere Frauen unzureichend vor den Folgen der Erderwärmung schützt und somit ihr Recht auf Privatleben und Gesundheit verletzt. Ein Gutachten des Interamerikanischen Gerichtshofs von Anfang Juli geht sogar noch weiter: Es erklärt das Menschenrecht auf Klimaschutz zum „ius cogens“, also zum zwingenden Völkerrecht, von dem es keine Ausnahmen gibt.
Solche Entscheidungen wirken – ähnlich wie das Klimagutachten des Internationalen Gerichtshofs – auf die Länder zurück. „Deutschland ist verfassungsrechtlich verpflichtet, auch international ausgerichtet zu handeln und seinen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten“, sagt Francesca Mascha Klein, Rechtsreferentin bei Germanwatch. Diese Pflicht ergebe sich direkt aus dem Grundgesetz. Die Umweltorganisation hat im vergangenen Herbst zusammen mit Greenpeace eine Verfassungsbeschwerde gegen die Reform des Klimaschutzgesetzes eingereicht; andere Umweltgruppen klagen ebenfalls und fordern etwa verschärfte Klimaziele und konkrete Maßnahmen im Verkehrssektor. Eine Entscheidung steht noch aus.
Allerdings lässt sich Klimaschutz nicht nur einklagen – er wird auch juristisch blockiert. „Klimaklagen sind keine Einbahnstraße“, warnt Umwelt- und Rechtswissenschaftlerin Joana Setzer vom Grantham-Institut. „Sie können den Klimaschutz voranbringen, aber auch ausbremsen.“ In den USA etwa wurden mehrere Klimagesetze mit Klagen verzögert oder ausgehebelt. „Das stellt Politik, Unternehmen und Aktivisten vor neue Herausforderungen“, sagt Setzer.