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Kleines Fernsehspiel des ZDF an den Rändern der Alltags-Ohnmacht

Eine Kamera, die in den Kopf der Protagonisten kriecht. Schauspieler, die das Publikum mitnehmen. Eine Regie, die offensiv agiert. Das Kleine Fernsehspiel des ZDF ist eine Kostbarkeit.

Wer will, der kann sich gleich die volle Dröhnung geben. “I Am The Greatest” bedeutet sieben Filme zwischen vier und 18 Minuten, die sich zu 86 Minuten und einem Episodenfilm summieren.

Volle Dröhnung heißt volles Risiko. “I Am The Greatest” unterläuft den Superlativ diametral. Sieben Mal und immer wieder anders übernehmen unangenehme Fantasien und Halluzinationen, Esprit und Destruktion das Kommando bei den Protagonistinnen und Protagonisten. Geboten wird Kopfkino, Marlene Bischof und Nicolai Zeitler (beide Buch und Regie) bebildern, was die Gedanken und die Gedankenwelten von Daniel, Marie, Julia, Agathe oder Lenny beherrscht.

Eine Auswahl von drei der sieben Geschichten:

In “Eins, Zwei, Drei … und jetzt?” ist Robert völlig überfordert. Während alle anderen Eltern sich und ihre Kinder auf dem Spielplatz im Griff haben, ohne auf die Autoritätspauke zu hauen, kommt Robert mit seinem Sohn überhaupt nicht klar, er ertrinkt in Selbstzweifeln, Schuldgefühlen, Panikattacken.

In “Weil ich ein Kind der Sonne bin” ist ein erstes Date für Marie (Katharina Stark) vor allem purer Stress! Was passiert, wenn Daniel merkt, wie angstgestört sie ist?

In “Agent of Change” will Karsten Drechsler (Mark Waschke) nach Jahren auf der Überholspur vom Gas gehen und das bis dahin Undenkbare wagen – seinen Job hinschmeißen. Bei der Autofahrt zum entscheidenden Meeting will ihn ein anderer überholen. Wer bremst, verliert.

Es sind Alltagssituationen, die ins Zentrum der jeweiligen Handlungen gerückt werden. Das macht sie nahbar, das lädt ein zur Identifikation, selbst wenn ordentlich zugespitzt wird. Wenn das Leben als übergroße Aufgabe empfunden wird, ob als fordernde Erwartung, schmerzende Verletzung, selbstzerstörerische Vorstellung, tagsüber, abends, in schlaflosen Nächten.

Jeder kennt das, sobald das Leben an persönlicher Ohnmacht entlang schlittert. “I Am The Greatest” variiert mal absurd, mal berührend, mal verzweifelt, mal verzweifelt komisch die gesellschaftlichen und eigenen Erwartungen, die Menschen viel, zu viel abverlangt und sie an ihre emotionalen Grenzen treibt. Das Leben ist ein Kreuzworträtsel.

Die Kamera (Rebecca Meining) geht ganz nah ran, schaut quasi in die Köpfe der Protagonistinnen und Protagonisten, um die Gedankenströme, Wahrnehmungen und Tagträume der sieben Hauptfiguren zu protokollieren, ihr Vor und Zurück in Drucksituationen zu erfassen und zu erklären. “I Am The Greatest” bleibt eine Absichtserklärung.

Diese Kurzgeschichten vom Leben im Hier und Jetzt verlangen der Glaubwürdigkeit wegen mitnehmendes Schauspiel. Von einer Katharina Stark, von einem Mark Waschke darf man das erwarten, aber Christian Erdt, Julia und Luisa Gleich, Susanna Fernandes Genebra und Carlo Schmitt halten mit ihnen Schritt, auch weil die Regie von Marlene Bischof und Nicolai Zeitler so angemessen wie individuell, so subtil wie offensiv agiert. Die Herausforderung der Figuren wird nicht zur Überforderung der Schauspielerinnen und Schauspieler.

Das kleine Fernsehspiel des ZDF und die Hochschule für Fernsehen und Film haben mit Unterstützung von Arte hier Kostbarkeiten des Menschen-Fernsehens gefertigt.