Zum „Kitakollaps“-Aktionstag am 15. Mai wird die angespannte Situation in den Kitas in Brandenburg aufmerksam gemacht. Die aktuellen Haushaltsplanungen im Land Brandenburg und auf Bundesebene könnten die Situation verschlimmern, sagt Astrid Engeln, Leiterin des Arbeitsbereichs Kindertageseinrichtungen und Ganztag im Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO) im Interview.
Frau Engeln, wie geht es den evangelischen Kitas im Land Brandenburg?
Astrid Engeln: Die meisten Kitas in freier Trägerschaft sind in Brandenburg evangelisch. Viele tragen ein evangelisches Qualitätssiegel, das inhaltlich über die Landesvorgaben hinausgeht, sind fachlich professionell untereinander vernetzt und haben ihren religionspädagogischen Ansatz im Rahmen von „Kita evangelisch!“ kontinuierlich weiterentwickelt. Trotz aller Qualitätsarbeit stehen sie vor den gleichen, teils schwierigen Herausforderungen wie andere Kitas: eine sehr komplizierte und teilweise unzureichenden Finanzierung, zu wenig Zeit für Leitungsaufgaben und vor allem der schlechte Personalschlüssel in Brandenburgs Kitas. Obwohl die Politik die Personalschlüssel in Krippe und Kita in den letzten Jahren verbessert hat, liegt Brandenburg im Bundesvergleich unter den letzten fünf. Die Folgen: eine hohe Mitarbeiterbelastung, viele Kranktage. Schon 2023 waren Brandenburger Kitamitarbeitende im Durchschnitt 35 Tage krank, wohingegen in allen anderen Berufsgruppen der Krankenstand „nur“ bei 24 Tagen pro Jahr lag. Wenig Personal und viele Kranktage bedeuten eine hohe Belastung des Systems und weitere Kranktage der Mitarbeitenden. Es ist ein Teufelskreis. Umso unverständlicher ist es, dass die Landesregierung die bereits beschlossene Personalschlüsselverbesserung im Krippenbereich zurückgenommen hat.

Das Haushaltsbegleitgesetz 2025/2026 der Landesregierung Brandenburg sieht Einschränkungen in der Kindertagesstättenbetreuung vor. Wie wird ein Kita- und Krippenplatzes hier eigentlich finanziert?
Das Teuerste an der Finanzierung eines Kitaplatzes ist das pädagogische Personal. Wenn zum Beispiel 4,25 Kinder in der Krippe für acht Stunden betreut werden, so wird der Kita dafür eine volle Erzieher:innenstelle (40 Stunden) refinanziert – zum größten Teil durch den Landkreis. Dabei wird für Kinder, die bis zu sechs Stunden betreut werden eine 80-prozentige Stelle finanziert und für alle anderen eine volle. In der Kita gilt das für 10 Kinder und in der Krippe eben für 4,25 Kinder. Die anderen Bestandteile der Kitafinanzierung wie zum Beispiel das Grundstück und Gebäude, Lebensmittel, Spiel- und Bastelmaterial werden durch Elternbeiträge, durch die Kommunen und den Eigenanteil der Träger finanziert.
Die alte Landesregierung aus SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen hatte entschieden, den Personalschlüssel im Krippenbereich zu verbessern. Nun wollten SPD und BSW als neue Landesregierung dort sparen. Die Wohlfahrtsverbände, auch das DWBO, haben dagegen protestiert. Die „MAZ“ berichtet, dass der Betreuungsschlüssel doch angepasst werden soll, aber erst 2027. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Die Rücknahme der Personalschlüsselverbesserung wäre insbesondere vor dem Hintergrund bitter, dass Kita-Mitarbeitende während Corona immer in der ersten Reihe stehen mussten und absolut systemrelevant waren. Sie haben bis zur Erschöpfung gearbeitet – was bis heute nachwirkt und viele Krankheitsfälle nach sich gezogen hat. Jetzt, wo die Krise überstanden ist, müssen die Kitas entlastet werden. In Kitas zu kürzen, würde kein wertschätzendes Zeichen setzen.
Was könnte ein verbesserter Personalschlüssel in der Krippe bewirken?
Der Unterschied, ob man 4 oder 4,25 Kinder zu betreuen hat, klingt erst mal wenig, macht in der Gesamtrechnung einer Einrichtung aber einen erheblichen Unterschied zur Entlastung der Erziehenden. Nehmen wir mal an, wir sprechen über eine Kita mit 150 Kindern, von denen 50 Kinder im Krippenalter sind – dann bedeutet diese Personalschlüsselverbesserung ungefähr eine zusätzliche Stelle in einer Einrichtung. Wichtig ist: auch Urlaub, Krankheit sowie Vor- und Nachbereitungszeit werden in diesem Personalschlüssel eingerechnet. Wenn zum Beispiel eine Kollegin krank und ein Kollege auf Fortbildung ist, sitzt eine Fachkraft dann eben nicht mit 4 sondern meist mit 7 und mehr Kindern da.
Die Finanzierung verlängerter Betreuungszeiten von mehr als 40 Wochenstunden könnte 2026 auslaufen. Hier unterstützt der Bund finanziell. Dabei nehmen Zweidrittel der Eltern im Land Brandenburg dies in Anspruch. Welche Auswirkungen könnte das haben?
Tatsächlich ist die Rücknahme dieser Finanzierung besonders dramatisch. Bei der oben erklärten Berechnung der Personalfinanzierung ist es unerheblich, ob die Kinder 8, 9, 10, 11 oder 12 Stunden in der Einrichtung verbringen. Konkret bedeutet das: Wenn Kinder mehr als 8 Stunden betreut werden, muss das vorhandene Personal über einen längeren Zeitraum verteilt werden, der Personalschlüssel dünnt weiter aus. Da Zweidrittel der Kinder jedoch länger als acht Stunden bei uns sind, ist der im Gesetz stehende Personalschlüssel lediglich als rechnerische Größe zu verstehen und in der Realität deutlich schlechter. Wir fordern daher seit Jahren die Einführung einer
dritten Betreuungsstufe mit 1,2 Vollzeitstellen für Kinder, die acht Stunden und mehr betreut werden.
Müssen die Kitas also ihre Öffnungszeiten einschränken?
Die Träger wollen die Betreuungsqualität in den Öffnungszeiten aufrechterhalten. Dazu müssen sie die Öffnungszeiten anpassen, zum Beispiel nur noch von 7 bis 17 Uhr statt von 6 bis 18 Uhr.
In den vergangenen Jahren wurden weniger Kinder in Brandenburg geboren, der Geburtenrückgang ist teilweise sehr drastisch. Werden Kitas zukünftig miteinander im Wettbewerb stehen müssen?
Tatsächlich mussten erste Einrichtungen schon schließen. Solche Maßnahmen sollten wohlüberlegt und in einer gemeinsam von Kommunen und Trägern erarbeiteten mittel- bis langfristigen Kitabedarfsplanung geschehen. Wichtiger noch: Der Rückgang der Kinderzahlen bietet aus unserer Sicht die einmalige Chance, den Personalschlüssel zu verbessern, die freiwerdenden Fachkräfte in den Kitas zu halten und so die Betreuungsqualität zu halten.