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Kirchenrätin: Flucht der Karabach-Armenier ist kulturelle Katastrophe

Als humanitäre und kulturelle Katastrophe hat die Leiterin des Referats Mission, Ökumene und Entwicklung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Christine Keim, die Flucht der rund 100.000 Karabach-Armenier vor wenigen Wochen bezeichnet. „Die Menschen gaben nicht nur ihre Häuser auf, sondern auch viele Kirchen, Klöster und Friedhöfe, die Teil der Geschichte des armenischen Volkes sind“, sagte die Kirchenrätin in ihrem Bericht zur Situation verfolgter Christen am Donnerstag vor der in Stuttgart tagenden Landessynode.

Die Befürchtung sei groß, dass das kulturelle und religiöse Erbe der Armenier in Bergkarabach nun für immer verloren sei. Für die armenische Geschichte sei Bergkarabach fast 2.000 Jahre lang ein wichtiger Kulturraum gewesen. Im September 2023 flohen nach einer Militäroffensive Aserbaidschans rund 100.000 ethnische Armenier innerhalb weniger Tage aus ihrer Heimat Bergkarabach.

Vieles deute darauf hin, dass Aserbaidschan bewusst die Kulturgeschichte im Kaukasus umschreiben und Zeugnisse armenischer Geschichte ausradieren wolle, sagte Keim. Seit der Unabhängigkeit Armeniens 1991 sei zu beobachten, dass zahlreiche armenische Kirchen und Klöster systematisch zerstört werden. So etwas dürfe nicht als Kollateralschaden abgetan werden, ja es müsse im Fall der Zerstörungen armenischer Kulturgüter in aserbaidschanischem Einflussgebiet von Christenverfolgung gesprochen werden.

Auch wenn die Situation im Blick auf das Völkerrecht eindeutig sei, da 1921 das armenisch besiedelte Bergkarabach unter Stalin als autonomer Verwaltungsbezirk Aserbaidschan und nicht Armenien zugeschlagen wurde, könne dieses Argument nicht allein ausschlaggebend für die kirchliche Perspektive sein. Kirchen sollten sich auf die Seite ihrer armenischen Geschwister stellen und sich dafür einsetzen, das die Weltöffentlichkeit von der systematischen Zerstörung armenischer Kirchen und Klöster erfährt. Außerdem könnten sie Stellung nehmen zu antiarmenischen Diffamierungen und Demütigungen, die nicht nur in den aserbaidschanischen sozialen Medien kursierten. Solche Drohungen führten selbst bei jungen Armenierinnen und Armeniern, die in Deutschland zum Teil schon in dritter Generation leben, zu einer Retraumatisierung, sagte die Kirchenrätin in ihrem Bericht.

Die Landessynode ist das Kirchenparlament für rund 1,8 Millionen Protestanten in Württemberg. Bis Samstag befasst sie sich bei ihrer Herbsttagung unter anderem mit den kirchlichen Finanzen, der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Landeskirche, den Konsequenzen aus der jüngsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Menschenrechtssituation von Christen weltweit. (2879/30.11.2023)