Fast zehn Jahre leitete Eva-Maria Menard den Kirchenkreis Prignitz. Zum Jahresende verabschiedet sich die 58-Jährige und wechselt als Pfarrerin nach Quedlinburg. Dazu habe sie sich nach reiflicher Überlegung entschieden. Auch familiäre Gründe – besonders die wachsende Begleitung ihrer Eltern – spielten bei der Entscheidung eine Rolle. Zum Abschied sprach Susanne Atzenroth mit ihr über weite Wege, konsequente Reformen und die Zukunft der Kirche auf dem Land.
Frau Menard, Sie kamen 2017 aus Berlin in die Prignitz. Wie hat sich Ihr privater Blick auf das Leben in einer ländlichen Region verändert?
Ich fahre gern mit meinem E-Auto – das war die größte persönliche Veränderung, denn ich habe ja für die Prignitz das Autofahren erst erlernt. Am Anfang war ich überrascht, wie weit die Wege sind. Heute ist eine halbe Stunde Autofahrt für mich ein Katzensprung – und auch Vorbereitungs- und Reflexionszeit. Anderes ist mir inzwischen selbstverständlich geworden: dass der Bäcker montags geschlossen hat, dass um 12 Uhr das Mittagessen auf dem Tisch steht, dass manches etwas geruhsamer geht. „Wir sind ja nicht auf der Flucht“, heißt es hier. Sehr sympathisch.
Nach neun Jahren als Superintendentin: Welche Projekte lagen Ihnen besonders am Herzen?
Dinge, die in die Region hineinwirken, oder biblisch gesprochen: Salz in der Welt zu sein. Sichtbar vorn steht die Gründung der Evangelischen Grundschule in Pritzwalk. Dass diese trotz aller Hürden entstand, war ein kleines Wunder. Auch die Gottesdienstreihen zu gesellschaftlich brennenden Themen zähle ich dazu, die großen Feste der Region, bei denen wir mitmischten, und unser Engagement bei der Initiative „Demokratie leben“. Ein zweites großes Thema war das neue Gemeindestrukturgesetz: weg von vielen kleinen Körperschaften, hin zu größeren rechtlichen Einheiten. Das war notwendig, aber schmerzhaft und auch von Missverständnissen begleitet. Und schließlich – angestoßen von unserem Bischof – sogenannte „Dritte Orte“ wie das EKIDZ in Pritzwalk oder Marthas Tisch in Wittenberge – wo Kirche anders funktioniert, gemeinsam mit Partnern vor Ort. Sie zeigen, dass Kirche lebendig bleibt, wenn sie sich traut, Spielräume zu nutzen.
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200 Kirchtürme, 100 Kilometer von West nach Ost – was bedeutet Leitung unter solchen Bedingungen?
Superintendentin zu sein, ist kein Verwaltungsamt, sondern ein Gestaltungsamt. Ich habe versucht, vorauszudenken, statt auf die Defizite zu schauen oder nur das „Betriebssystem“ am Laufen zu halten. Welche Rahmenbedingungen brauchen wir, damit kirchliches Leben möglich bleibt? Die Belange der ländlichen Regionen auch in die Landeskirche zu tragen. Personalgewinnung und -begleitung ist ein wichtigerAspekt. Manchmal fühlte ich mich wie eine Headhunterin. Auf normale Ausschreibungen meldet sich kaum jemand. Da braucht es Initiative, Überzeugungskraft und manchmal auch Mut, unkonventionelle Wege zu gehen.
Die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt. Wie erleben Sie das in der Prignitz?
Natürlich spüren wir die Rückgänge. Aber ich weigere mich, auf Zahlen zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Wir dürfen uns nicht in blindem Aktionismus erschöpfen. Entscheidend ist, dass wir unseren Glauben (mit-)teilen, dorthin gehen, wo die Menschen sind. Sie spüren, ob wir ernsthaft mit ihnen unterwegs sind.
Die Prignitz gilt als Region, in der rechtspopulistische Tendenzen sichtbar sind. Welche Rolle hat die Kirche hier?
Das Evangelium ist politisch, aber nicht parteipolitisch. Wir müssen Haltung zeigen – für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Zugleich gilt es, zuzuhören und zu differenzieren. Nicht jeder, der gegen ein Windrad ist, ist gleich gegen Demokratie. Kirche kann Räume öffnen, in denen Menschen miteinander reden und lernen Widersprüche und Ambivalenzen zu ertragen. Ich halte den ländlichen Raum für das Zukunftslabor unserer Gesellschaft: Hier zeigen sich Entwicklungen früher – im Guten wie im Schwierigen.
Was wünschen Sie der Prignitz für die kommenden Jahre?
Freude, Glaubenszuversicht und den Mut, nicht durch die defizitäre Brille zu schauen. Wir leben in einer wunderschönen Region voller Gestaltungsmöglichkeiten. Ich wünsche, dass dieses Bewusstsein wächst – und dass es gelingt, zukunftsfähige Strukturen zu schaffen: einen Kita-Verband, eine professionalisierte Friedhofsorganisation, Modelle für den Erhalt unserer Dorfkirchen.

Und was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe in Quedlinburg?
Ich freue mich, wieder Gemeindepfarrerin im direkten Kontakt mit den Menschen zu sein – bei Taufen, Trauungen, Seelsorge. Quedlinburg ist eine wunderschöne kleine Stadt, die jährlich von Hunderttausenden Menschen besucht wird. Fast alle gehen in die Stiftskirche und wollen den Domschatz sehen. Für diese Besucher geistliche Angebote zu gestalten, reizt mich sehr. Aber ich freue mich auch, dass ich für ein Dorf zuständig bin. Ich bin ein Mensch, der gerne aufbricht und zugleich bin ich dankbar, dass ich so viel mitnehmen darf aus der Prignitz: Begegnungen, Erfahrungen, den weiten Himmel und das helle Land.
Der Gottesdienst zur Verabschiedung von Eva-Maria Menard findet am 28. Dezember um 10.30 Uhr in der St. Jacobi-Kirche in Perleberg statt.
