Als im Herbst in Kassel ein Kirchendach einstürzte, schreckten auch in Bayern Kirchenarchitekten auf: Bei der Emmauskirche Harlaching ist ähnliches Material verbaut, deshalb blieb sie an Weihnachten vorsichtshalber geschlossen. „Das Problem sind nicht die Dachträger an sich, sondern die Verwendung harnstoffharzhaltiger Leime“, erläuterte Stefan Neukamm, Chefarchitekt im Münchner Kirchengemeindeamt, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Tragfähigkeit dieser Leime könne, in Abhängigkeit von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, mit den Jahren nachlassen.
Bereits nach dem Einsturz der Eislaufhalle in Bad Reichenhall im Jahr 2006 habe die Landeskirche Konstruktionen mit großen Spannweiten und verleimten Hölzern prüfen lassen, teilt der Pressesprecher der evangelischen bayerischen Landeskirche, Johannes Minkus, mit. „Deshalb werden wir trotzdem nochmals eine Prüfungsrunde organisieren.“ Tragwerksingenieure würden wiederkehrende Kontrollen empfehlen.
Auch in den Kirchen der Erzdiözese München und Freising habe man nach dem Einsturz der Reichenhaller Eishalle Dachkonstruktionen unter die Lupe genommen, teilt die Erzdiözese mit. „Seitdem sind die Kirchenstiftungen außerdem mit der Baucheckliste zu regelmäßigen Überprüfungen ihrer Dächer verpflichtet.“
Das Diözesanbauamt Passau hat nach dem Dacheinsturz in Kassel recherchiert und herausgefunden, dass es im Bistum keine derartige Dachkonstruktion wie in der betroffenen Kirche gibt. Im Bistum Eichstätt schätzt man, dass drei bis fünf Prozent der kirchlichen Gebäude solche Dachkonstruktionen haben könnten.
Wie viele Gebäude im Erzbistum München eine gefährliche Leimbinderkonstruktion aufweisen, werde nicht erfasst, heißt es dort. Ebenso im Bistum Augsburg. „Mehr als zweitausend Sakralbauten“, gebe es dort, so die Antwort aus dem Ordinariat. Für ihre Instandhaltung seien die jeweiligen Kirchenstiftungen zuständig. Daher weisen die Bistümer die Kirchenstiftungen ganz allgemein darauf hin, dass sie bei Gebäuden mit Leimbinderkonstruktionen genauer hinschauen oder sich beraten lassen sollen.
Nach dem Dacheinsturz von Kassel würden sich die kirchlichen Bauämter aller deutschen Bistümer austauschen, um eine gemeinsam Handreichung zum Thema „Standsicherheit von Gebäuden und regelmäßige Untersuchungen von tragenden Bauteilen“ zu erstellen, teilt das Bistum Regensburg mit.
Im Bistum Eichstätt wiederum verweist man darauf, dass die Ursachen-Ermittlung nach dem Dacheinsturz in Kassel noch nicht abgeschlossen sei. „Bei solchen Ereignissen spielen in der Regel mehrere Faktoren eine Rolle, weshalb man mit Schlussfolgerungen vorab vorsichtig sein sollte“, teilt die Pressestelle auf epd-Anfrage mit. Raumklima oder eine fehlende Prüfstatik könnten eine Rolle spielen.
Wie es mit dem Dach der 1964 eingeweihten Emmauskirche weitergeht, wollen die Münchner Kirchenarchitekten Ende Januar beraten. Mittel für eine Sanierung waren ohnehin eingeplant. Dass sie nicht reichen, falls die ganze Konstruktion erneuert werden muss, ist nicht schwer zu erraten. Zudem müsse man laut Chefplaner Neukamm klären, „ob und mit welchem Aufwand“ eine Abstützung des Dachs möglich ist, damit die Kirche auch bis zur Sanierung genutzt werden kann. Denn die fehlt der Gemeinde jetzt schon: „Die Emmauskirche ist ein wunderschöner, zeitgemäßer Sakralraum – es tut uns weh, dass wir ihn bis auf unbestimmte Zeit nicht nutzen können“, sagt Pfarrer Nugel. (00/0311/26.01.2024)