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Kirchenamts-Präsident sieht Fortschritte bei Missbrauchsaufarbeitung

Der neue Präsident des evangelischen Landeskirchenamtes in Hannover, Jens Lehmann, sieht in seiner Landeskirche einen allmählichen Bewusstseinswandel im Umgang mit Menschen, die von sexuellem Missbrauch betroffen sind. „Ich erlebe eine zunehmende Sensibilisierung und eine weiter wachsende Bereitschaft bei ganz vielen Menschen in der Kirche, sich mit dem Thema sexualisierte Gewalt zu beschäftigen“, sagte Lehmann, der das Spitzenamt in der Verwaltung der hannoverschen Landeskirche seit Juli innehat. Es gebe „eine große Bereitschaft, betroffenen Personen wirklich zuzuhören und ihnen die Unterstützung zu gewähren, die ihnen über viele Jahre verweigert worden ist“.

Das Landeskirchenamt habe alle bekannten Fälle von sexualisierter Gewalt, in denen die Beschuldigten noch leben, an die zuständige Staatsanwaltschaft gegeben, sagte der Verwaltungschef. Zudem bitte die Landeskirche betroffene Personen, sich bei der zuständigen landeskirchlichen Fachstelle oder bei externen Beratungsstellen zu melden und ihre Fälle zudem bei der Polizei anzuzeigen. Auch wenn diese verjährt seien sollten, lebten die Täter mitunter noch, so dass womöglich dennoch Möglichkeiten einer strafrechtlichen Verfolgung bestünden.

Zugleich räumte der Präsident ein, dass die Landeskirche bei der Aufarbeitung zurückliegender Fälle von sexualisierter Gewalt erst am Anfang stehe. Es sei unstrittig, dass die Disziplinarakten allein längst nicht ausreichten, um ein umfassendes Bild der sexualisierten Gewalt in der Landeskirche zu gewinnen: „Wir müssen in enger Abstimmung mit betroffenen Personen für alle Landeskirchen Standards schaffen, nach denen wir ein umfassendes Akten-Screening durchführen können.“

Außerdem würden alle bekannten Fälle von sexualisierter Gewalt seit 1945 ausgewertet, um ein Konzept für eine umfassende Aufarbeitung zu entwickeln. „Wir sind es allen betroffenen Personen schuldig, dass ihre Fälle gewürdigt werden, dass wir ihr Leid anerkennen, um Entschuldigung bitten und Unterstützung anbieten“, unterstrich Lehmann.

Mit Blick auf die Richtlinien zu Aufarbeitung und Entschädigungszahlungen an Betroffene, die vom Beteiligungsform Sexualisierte Gewalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) entwickelt worden waren, sagte Lehmann, er rechne mit einer baldigen Umsetzung auf Ebene der Landeskirchen. Noch befinde sich das am Montag auf der EKD-Synode in Würzburg vorgestellte Modell in der Prüfung der einzelnen Landeskirchen und diakonischen Landesverbände. Lehmann betonte, eine EKD-weite Vereinheitlichung sorge „für mehr Transparenz und Verlässlichkeit, das begrüßen wir ausdrücklich“.