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Kirche und Corona – natürlich hat sie sich schuldig gemacht

Bischof Tilman Jeremias aus Mecklenburg-Vorpommern äußert sich selbstkritisch zum Umgang der Kirche mit Ungeimpften. Richtig so, sagt unser Autor Matthias Gülzow und fordert mehr Dialogbereitschaft.

Die deutsche Corona-Politik muss unter die Lupe, fordern Juli Zeh und drei Wissenschaftlerinnen (Archiv)
Die deutsche Corona-Politik muss unter die Lupe, fordern Juli Zeh und drei Wissenschaftlerinnen (Archiv)Imago / Arnulf Hettrich

Wie aufgeheizt das Thema um Corona, die Maßnahmen und die Impfung bis heute ist, spüren wir als evangelische-zeitung.de täglich. Unsere Meldungen zur Diskussion um den angeblichen „Turbokrebs“ nach einer Corona-Impfung – sehr wahrscheinlich eine freie Erfindung von Impfskeptikern, in jedem Fall aber eine unbewiesene Behauptung – werden auch nach Monaten viel gelesen und diskutiert. In dieser aufgeheizten Atmosphäre ist eine vernünftige Auseinandersetzung und eine ruhige Aufarbeitung und Bewertung der während der Pandemie getroffenen Maßnahmen wirklich schwierig. Ganz erstaunlich sind dabei zwei Beobachtungen.

Sturm der Entrüstung nach Aussagen von Bischof Jeremias

Erstens: Karl Lauterbach, Projektionsfigur und Zielscheibe des Hasses von Corona-Leugnern und Impfgegnern gesteht Fehler ein und die Resonanz fällt vergleichsweise gering aus. Er sagt: „Der größte Fehler war, dass wir bei den Kindern zum Teil zu streng gewesen sind und mit den Lockerungsmaßnahmen wahrscheinlich etwas zu spät angefangen haben.“

Zweitens: Als in der Kirche mutig und als Erster der Greifswalder Bischof Tilman Jeremias nach einer Veranstaltung zum Rückblick auf die Corona-Zeit sagt: Wo wir als Kirche Ungeimpfte ausgegrenzt haben, sind wir schuldig geworden“, bricht ein Sturm der Entrüstung los, der ihn komplett überrascht. Und seither? Nichts zu hören aus der Kirche.

Schuldig werden wir. Alle. Täglich.

Warum sie sich wohl so schwertut mit dem Eingeständnis der eigenen Schuld? Wir wissen doch alle nicht nur aus der Konfirmandenzeit: Schuldig werden wir. Alle. Täglich. Die Menschen und auch die evangelische Kirche. Dabei hatte Martin Luther im Angesicht der Pest die Sache mit der Impfung und den Maßnahmen 1527 schon geklärt: „Gott hat die Arznei geschaffen und die Vernunft gegeben, um sich um Leib und Leben zu kümmern und sorgsam damit umzugehen (…) wenn aber mein Nächster mich braucht, dann werde ich weder Städte noch Menschen meiden, sondern frei zu ihm hingehen und ihm helfen“.

Natürlich gab es die Predigten vom fahrenden Trecker und die Seelsorge-Gespräche durchs offene Krankenhausfenster. Aber rückblickend müssen Kirche und Diakonie sich eingestehen, dass man insgesamt zu viel Vorsicht hat walten lassen und sich im Angesicht der Corona-Pandemie nicht um alle Kranken gekümmert hat. Gemeinden haben zu viele Nicht-geimpfte ausgegrenzt, Angst statt Zuversicht leitete im Angesicht der Jahrhundert-Pandemie vielerorts die Entscheidungen.

Das muss eingestanden werden, auch in der noch immer aufgeheizten Atmosphäre – sonst wird es niemals zu einem guten Dialog kommen.