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Kinderschutzexperte Zollner: Missbrauch wichtiges Thema bei Papstwahl

Welche Qualitäten braucht der nächste Papst? Offen, dialogfähig und ein “guter Hirte” sollte er sein. Vor allem aber: Er muss das Thema Missbrauch noch entschiedener angehen; meint der deutsche Experte Hans Zollner.

Papst Franziskus ist noch nicht beigesetzt, da dreht sich schon das Kandidaten-Karussell für die Nachfolge. Welche “Skills” braucht das nächste Oberhaupt der 1,4 Milliarden Katholiken? Und welche Themen werden die Kardinäle besonders beschäftigen, wenn sie sich demnächst zur Papstwahl, dem Konklave, in die Sixtinische Kapelle zurückziehen?

“Ich glaube, dass schon jetzt bei den Vorbesprechungen, beim sogenannten Vor-Konklave, das Thema Missbrauch eine Rolle spielen wird”, berichtet der deutsche Kinderschutzexperte Hans Zollner der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) aus Gesprächen mit künftigen Papstwählern. “Den allermeisten Kardinälen wird klar sein, dass das Thema wichtig ist für die möglichen Kandidaten und die Weiterentwicklung der Kirche”, so der Direktor des Instituts für Anthropologie der Papst-Uni Gregoriana, wo er das “Centre for Child Protection” (Institut zum Schutz Minderjähriger vor Missbrauch) leitet. “Für die Betroffenen wie auch für unser Institut und alle, die sich im Safeguarding engagieren, wäre es fatal, wenn sich nach der Wahl herausstellen würde, dass der neue Papst beim Thema Missbrauch nachlässig war”, gibt der Jesuit zu bedenken.

Vermutlich auch, um das zu verhindern, erstattete die Betroffenen-Vereinigung “Snap” im März Anzeige gegen sechs prominente Kardinäle, weil diese nach ihrer Meinung sexuellen Missbrauch von Priestern und Kirchenangestellten vertuscht oder nicht hinreichend verfolgt hätten. Namentlich geht es dabei um die Kardinäle Peter Erdö, Kevin Farrell, Victor Fernandez, Mario Grech, Robert Prevost und Luis Tagle – alles potenzielle Anwärter auf das Papstamt.

Andererseits listet zum Beispiel das Portal “College of Cardinals Report” zehn Kriterien für Papabili auf, darunter ihre Haltung zur Alten Messe, zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, zur Frauenweihe und sogar zum deutschen Synodalen Weg – der Umgang der einzelnen Kardinäle mit dem Thema Missbrauch ist für das im konservativen Lager beheimatete Portal indes kein Kriterium.

“Das, was derzeit an Spekulationen über mögliche Kandidaten in die Welt gesetzt wird, sollte man unter großem Vorbehalt betrachten”, meint Zollner. Papst Franziskus, der 2014 die Päpstliche Kinderschutzkommission gründete, habe beim Thema Missbrauch viel angestoßen, sagt er auch mit Blick auf den Kinderschutzgipfel im Februar 2019, den er im Auftrag von Franziskus mitorganisierte. Da sei erstmals die Rede von der systemischen Dimension von Missbrauch in der Kirche gewesen; also davon, dass es nicht nur im Einzelfall Veränderungen braucht, sondern insgesamt an den Strukturen, den Abläufen, den Räumen, der Ausbildung – mit dem Ziel, im Raum der Kirche Missbrauch soweit als irgend möglich zu verhindern.

Heute spreche man davon, “Safeguarding” in der Kirche zu fördern, also sichere Räume, sichere Beziehungen, sichere Abläufe zu schaffen. “Da hat Franziskus viel getan.” Eine Stärke des Papstes habe im Umgang mit Betroffenen gelegen, so Zollner. Er hat viele von ihnen begleitet, die Franziskus im Vatikan oder auf Reisen traf. “Einige von ihnen haben mir nach seinem Tod rückgemeldet, dass ihnen die Begegnung sehr wichtig war (…) Sie waren beeindruckt von seiner Art, ihnen zu begegnen, voller Empathie und ohne Scheu”, betont Zollner. “Er hat sich alles angehört und angenommen, von Wutausbrüchen über Beschuldigungen bis hin zu Tränen oder auch überraschender Dankbarkeit – und ist nicht weggelaufen. Er war in ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung bei ihnen”, berichtet der Ordensmann.

Andererseits hätten sich Betroffene auch mehr von Franziskus erhofft, weiß der Experte. Und die deutsche Betroffeneninitiative “Eckiger Tisch” würdigte den Verstorbenen als einen Papst, der die Türen zu einer notwendigen Reform von Lehre und Praxis der Kirche einen Spalt geöffnet habe. “Andere werden hindurch gehen müssen”, sagte deren Sprecher Matthias Katsch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. Allerdings sei die Kirche vielerorts noch immer kein sicherer Raum für Kinder und Jugendliche, und viele Opfer warteten noch auf Gerechtigkeit.

Hier sieht Zollner Unterschiede zwischen den Ländern. “In Deutschland sehen wir, dass von einer Diözese zur anderen Gutachten vorgestellt werden.” Das sei in der Weltkirche sehr unterschiedlich, selbst in Europa gebe es Unterschiede. “Das hat seine Berechtigung, weil es jeweils kulturelle, politische oder historische Gründe gibt, die verschiedene Zugangsweisen nötig machen”, meint der Jesuit.

“Was wir in der Kirche insgesamt brauchen, ist die Umsetzung der Gesetze.” Da sei nicht nur der Papst als Oberhaupt gefordert, sondern alle Gläubigen. “Das ist leider noch nicht so angekommen. Papst Franziskus hat viel getan, aber nicht alles, was wünschenswert gewesen wäre.”

Der Mentalitätswandel hin zur Mitverantwortung aller Katholiken beim Thema Missbrauch sei “ein bleibendes Vermächtnis” des Papstes. “Er hat einen wichtigen Schritt getan, indem er auf dem aufgebaut hat, was Papst Benedikt angestoßen hatte”, meint Zollner rückblickend. “Er hat Gesetze geändert und sich auf das Thema eingelassen, aber sein Nachfolger wird noch viel zu tun haben.” Mit Blick auf den nächsten Papst heißt das: “Unsere Hoffnung ist, dass sein Nachfolger auf diesen Standards aufbaut und sie wirksam weiterentwickelt.”