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Kermani: Demokratie rettet man nicht mit Mozart und Bruckner

Auch wer politisch verfeindet ist, kann trotzdem friedlich nebeneinander derselben Musik lauschen. Deshalb zu glauben, Musik mache bessere Menschen aus uns, hält der Schriftsteller Navid Kermani für einen Irrtum.

Der Schriftsteller Navid Kermani hat Zweifel, inwieweit Musik die Welt besser macht. “Musik macht keine besseren Menschen aus uns, und wenn sie in den Dienst einer Ideologie, eines politischen Projekts gestellt wird, kann sie sogar umschlagen in schwarze Magie”, sagte er am Freitagabend im Leipziger Gewandhaus beim Konzert zur Saisoneröffnung. “Auch die Demokratie wird nicht gerettet werden, indem man Bruckner oder Mozart zu Hilfe nimmt.”

Kermani fügte hinzu: “Wenn Musik die Demokratie befördert, also gesellschaftlich nützlich ist, dann allenfalls darin, dass sie sich aller Nützlichkeit entzieht.” Sie schaffe einen Raum, in dem sich die Herzen öffneten, weil es nicht mehr um Worte gehe. “In den besten Momenten sind mein Sitznachbar und ich, zwei Wildfremde, politisch womöglich sogar Feinde – in den besten Momenten sind wir dennoch in der Begeisterung für dieselbe Musik vereint.” Das bewirke aber keine Annäherung über den Moment hinaus. “Wir gehen auseinander, das Einwandererkind und der Wähler der AfD, und glauben jeder, dass der andere eine Bedrohung ist”, so der Sohn iranischer Eltern.

Zugleich verwies er darauf, dass Musik eine Kraft habe, die nationalem Denken zuwiderlaufe: “Musik kennt keine nationalen Grenzen, nicht einmal sprachliche Grenzen, sie ist wie keine andere zivilisatorische Errungenschaft ein Kontinent, dem man ohne Erlaubnis angehört und in dem man sich ohne Pässe bewegt.” Auch darin liege ihre utopische Kraft, die über Gräben hinweg wirke, wenn etwa heute im Nahen Osten Juden und Araber gemeinsam Mozart und Beethoven spielen. “Selbst Wagner, der Antisemit – seine musikalische Botschaft unterläuft das Ressentiment, das in seinen Texten liegt. Anders wäre es nicht zu erklären, dass seine Opern auch und gerade in Israel aufgeführt werden”, so Kermani. “Wenn der deutschsprachige Kulturraum der Menschheit etwas geschenkt hat, dann ist es Musik.”

Das Leipziger Gewandhaus verbindet seit drei Jahren die Saisoneröffnung mit einem Demokratie-Wochenende. In diesem Jahr steht es unter dem Leitwort “Vielstimmigkeit” und will den Austausch über tragende Werte der Demokratie und gesellschaftliches Miteinander befördern.