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Kein Himmel auf Erden

Über den Predigttext zum 1. Sonntag im Advent: Jeremia 23,5-8

Predigttext
5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. 6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit“. 7 Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: „So wahr der Herr lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!“, 8 sondern: „So wahr der Herr lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel heraufgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.“ Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Der Prophet Jeremia redet zu einem gebrochenen Volk: Wenig ist übrig von dem Reich Davids, an das man sich mit Stolz erinnert. Jetzt ist das kleine Juda zum Spielball fremder Großmächte geworden. Hin und hergetrieben von einer Politik, auf die es kaum noch Einfluss hat. Es hält das Recht nicht mehr in den eigenen Händen.

Wie anders unsere Lage: Wir haben unsere eigene Regierung wählen können. Wir genießen höhere Rechtssicherheit als die meisten Menschen auf der Erde. Doch auch bei uns sorgen sich viele um Recht und Gerechtigkeit: Wenn Kinder und Jugendliche während der Corona-Zeit in ihren Rechten beschränkt waren und vielfach psychische Folgen davontragen. Wenn Pflegerinnen, Erzieher und viele andere Berufsgruppen den Wohnraum in manchen Städten nicht bezahlen können. Wenn die Pandemie einigen den Boden unter den Füßen weggezogen hat, während andere sich bereichert haben.

Der gerechte König: nur noch Erinnerung

Gerade junge Menschen sorgen sich vielfach um ihr Recht auf Zukunft, weil der Klimawandel unsere Lebensgrundlagen angreift. Andere sind verunsichert, weil sich so viel ändern soll und ihr Lebensstil in Frage gestellt wird. Manch eine fühlt sich ungerecht behandelt, manch einer verliert das Vertrauen in die Politik.

Wenn Jeremia an König David erinnert, dann redet er von einer weit entfernten Vergangenheit. Damals konnte jeder auf eigenem Grund in Ruhe und Sicherheit leben, bildlich gesprochen: unter seinem eigenen Feigenbaum sitzen.  Doch das Reich Davids hatte höchstens einige Jahrzehnte Bestand.

Das Vertrauen in Gott ist nie gestorben

Seitdem sind Jahrhunderte vergangen. Aber das Vertrauen, dass Gott es gut meint mit seinem Volk und ihm ein Leben in Recht und Gerechtigkeit ermöglichen will, ist nie gestorben und in der Krise kräftiger denn je. Auch wenn es scheint, als seien die Babylonier die Herren der Welt: Letztlich liegen Recht und Gerechtigkeit in Gottes Hand.

Wenn wir jetzt auf unsere nächste Regierung blicken, dann haben wir verschiedene Hoffnungen und Bedenken. Die Herausforderungen scheinen diesmal viel größer als in früheren Jahren: Die Pandemie nicht besiegt, das Problem des Klimawandels immer drängender. Bei all dem wissen wir, dass es keiner menschlichen Gesellschaft gelingen wird, allen Bedürfnissen vollkommen gerecht zu werden. Den Himmel auf Erden werden wir nicht verwirklichen. Das hat die Geschichte immer wieder gezeigt.

„Der HERR ist unsere Gerechtigkeit“: Nur Gott wird meinen Sehnsüchten ganz gerecht. Nur Gott weiß, was ich wirklich brauche. In seinen Händen liegt die Zukunft, meine eigene und unsere gemeinsame.

Dieser König ist das Maß der Gerechtigkeit

Wir gehen in die Adventszeit und freuen uns darauf, seine Nähe zu spüren: wenn wir zusammen Adventslieder singen, wenn wir unsere Häuser schmücken und uns am Schmuck der anderen freuen, wenn wir in der Kirche die vertrauten Worte hören. Gott zeigt sich als neugeborenes Kind in einer Krippe. Vor diesem König zittert Herodes und beugen die weisen Männer aus dem Osten ihre Knie. Dieser König ist Maß der Gerechtigkeit und steht über unserem Recht.

„Der HERR ist unsere Gerechtigkeit“. Jeremias Worte befreien zu einem realistischen Blick auf die Grenzen und Möglichkeiten der Politik: Wir müssen gemeinsam Wege finden, Interessen auszugleichen und besonders für die Schwachen einzustehen. Dabei müssen wir aber auch Fehler zulassen und Konzepte immer wieder überprüfen. Nicht vorschnell die Schuld bei anderen suchen oder sogar auf die Fehler der anderen lauern. Wir müssen gemeinsam um Lösungen ringen und dabei vielleicht auch mal das eigene Recht nicht durchsetzen. Ein solcher Weg ist mühsam und der Wunsch nach einfachen Rezepten verständlich.

Bei all dem können wir aber mit Gottes Gerechtigkeit rechnen: Gott sieht und würdigt unsere Anstrengungen. Enttäuschte Hoffnungen hebt er auf und erlebtes Unrecht verwandelt er. Gott steht für Recht und Gerechtigkeit ein. Dieses Vertrauen schützt uns vor Ideologien. Und es entlastet, macht frei und kann immer wieder trösten.