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Kaltwasserbaden – ein Wintervergnügen findet immer mehr Zuspruch

Stress, miese Stimmung, Sorgen? Wer in kaltes Wasser eintaucht, hat dafür keinen Kopf mehr, fokussiert sich ganz auf das Hier und Jetzt. Und wird von Glücksgefühlen überschwemmt. Achtung: Winterbaden kann süchtig machen.

Kalt duschen – alleine schon bei dem Gedanken läuft es Brigitte Jordan kalt den Rücken herunter. “Das geht gar nicht”, findet die 62-Jährige. Dabei hat die Aschaffenburgerin ein Hobby, das bei anderen schon beim Zuhören für Gänsehaut und Schnappatmung sorgt: Kaltwasserbaden.

Mit ihrer Liebe für das kühle Nass ist sie nicht alleine. Eisbaden und Winterschwimmen haben sich in den vergangenen Jahren zu einer Outdoor-Aktivität entwickelt, an der hierzulande immer mehr Menschen Gefallen finden. Das erlebt auch Jordan an ihrer Badestelle am Niedernberger See – von Einheimischen liebevoll “Honisch Beach” genannt. “Man glaubt es nicht, wie viele Leute da im Winter baden gehen, echt irre.” Beim Nikolausschwimmen 2024 hätten sich dort rund 100 Menschen ins Wasser gestürzt. Auch im Herbst gebe es Leute, die dort noch schwimmen.

In Finnland gehört das Winterschwimmen zum Lebensgefühl vieler Menschen – so auch von Katja Pantzar. “Denn um die Laune zu heben, gibt es für meine Begriffe nichts Besseres, speziell in dunklen, leicht deprimierend wirkenden Wintermonaten”, schreibt die in Helsinki lebende Schriftstellerin, die das ganze Jahr über in der Ostsee schwimmt, in dem Buch “Saunadampf und Kältekick”. Um den inneren Schweinehund auszutricksen, empfiehlt sie eine positive Einstellung nach der Devise: “Die Kälte ist Deine Freundin”.

Brigitte Jordan stimmt zu. Sie fährt regelmäßig nach dem Sport an den See. Dann taucht sie langsam ins Wasser ein, bleibt dort etwa 15 Sekunden, geht zurück ans Ufer, bewegt sich ein wenig oder wärmt sich in der Sonne und wiederholt das Prozedere noch ein oder zwei Mal. Ihre Erfahrung: Bei mehrmaligem Eintauchen fühle sich das Wasser immer wärmer an – “beim dritten Mal ist es keine Überwindung mehr”. Bei Sonnenschein mache das natürlich mehr Spaß als bei diesigem Wetter. Aber Hauptsache, es ist nicht mehr zu warm. Denn wenn Luft und Wasser eine ähnliche Temperatur haben, fällt ihr das Eintauchen leichter.

Für Jordan das A und O: die richtige Atmung. Schon bevor man ins Wasser geht, sollte man tief ein- und ausatmen und dann langsam bis zum Bauchnabel ins Wasser gehen, verrät sie. Vor allem das tiefe Ausatmen sei wichtig; “nicht die Luft anhalten”, mahnt sie. Beim dritten Mal ausatmen dann mit dem Körper komplett eintauchen – und vor allem: weiter atmen. “Wenn man hektisch wird oder keine Luft holt, dann tut es weh.”

Warum sie sich das antut? “Ich fühle mich danach wie neugeboren.” Sie sei “wie abgeschaltet”, konzentriere sich nur auf die Atmung und das Eintauchen. Alles um sie herum werde nebensächlich, sie vergesse ihre Sorgen. “Danach habe ich Glücksgefühle, weil Endorphine freigesetzt werden”, sagt die gelernte Kneipp- und medizinische Bademeisterin.

So geht es auch Anna Falcoianu, Geschäftsführerin der Initiative Eisbaden.de, die Gleichgesinnte zusammenführt. “Wenn man plötzlich in sehr kaltes Wasser eintaucht, passiert im Körper eine ganze Menge, und zwar in Sekundenbruchteilen.” Der sogenannte Kälteschock löse eine sofortige Reaktion des Körpers aus – der Blutdruck steigt, der Puls beschleunigt sich. Der Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt, Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet. “Man ist hellwach und sich gleichzeitig kraftvoll und fokussiert.” Langfristig lerne der Körper, mit Stress besser umzugehen, sagt Falcoianu. Zudem stimuliert die Kälte den für die geistige und körperliche Fitness wichtigen Vagusnerv.

Dass solch ein Badeabenteuer verbindet, weiß auch Josie Lloyd. “Es ist nur kaltes Wasser. Das ist alles”, so spricht sich Dominica in Lloyds Roman “Der Brigthon-Schwimmclub” vor ihrem ersten Gang ins Meer selbst Mut zu. Darin beschreibt sie, wie das gemeinsame Baden im kalten Wasser fünf Frauen zwischen 20 und 70 Jahren zusammenführt. Sie trotzen nicht nur der Nordsee, sondern auch den Widrigkeiten des Lebens.

Lloyd selbst fand in der Corona-Zeit in dem britischen Seebad zum Winterbaden. Sie ist dort auf “eine Gruppe beherzter, Tee trinkender Superfrauen (und Männer) mit Bommelmützen und Dryrobes” gestoßen, “mit denen ich mich bei Regen, Schnee, Frost und Sonnenschein, in der Morgen- oder Abenddämmerung, ins Wasser stützte. Im Handumdrehen war ich süchtig nach dem Schock des kalten Wassers und dem Kameradschaftsgefühl”, schreibt sie im Nachwort.

Aber wie kommt es, dass so viele Menschen diese Leidenschaft für sich entdecken? Es gebe einen klaren Trend hin zur Optimierung der Gesundheit, zu Biohacking und Longevity – also dem Wunsch, das eigene Leben aktiv zu verlängern und dabei bewusst mit dem Körper zu arbeiten, beobachtet Falcoianu. “Sobald man selbst erlebt hat, wie sich Kälte positiv auswirken kann, etwa durch gesteigerte Energie, bessere Regeneration oder einfach ein neues Körpergefühl, möchte man das nicht mehr missen.” Auch die Sozialen Medien tragen nach ihrer Einschätzung dazu bei, “dass solche Bilder und Erfahrungen rasch verbreitet und nachgeahmt werden”.

Bei Brigitte Jordan indes war es eine verlorene Wette, die dafür sorgte, dass sie vor drei Jahren bei winterlichen Temperaturen erstmals in die Nordsee stieg. Damals lebte sie auf Amrum und hatte sich gemeinsam mit ihrer Chefin vorgenommen, wegen Unzufriedenheit mit der Figur keinen Kuchen mehr zu essen. Der gute Vorsatz hielt nicht lange – beide mussten zur Strafe im Meer baden gehen. “Da habe ich gemerkt: Das tut mir gut.”

Jordan möchte den Kälte-Kick nicht mehr missen und geht heute des Öfteren mit einer Freundin zum See. “Die muss ich an die Hand nehmen, und dann laufen wir zusammen rein.”