Packendes Drama um eine Jugendliche, die sich zwischen ihrer Sehnsucht nach Leben und den Wahnvorstellungen einer esoterischen Sekte entscheiden muss.
“Jupiter” beginnt im kosmischen Blick auf die Erde. Mit Wolkenschleiern, sphärischer Musik und einer angenehmen Stimme aus dem Off. Danach folgen im abrupten Schnitt Aufnahmen von einer Schaum-Party in einem Kellerlokal in Leipzig. Die Jugendlichen sind unter sich. Sie kennen sich von der Schule, tanzen und albern herum. Einige Mädchen machen sich in den Toilettenräumen zurecht. Sie necken sich gegenseitig und schwatzen über Mädchenkram wie Liebeleien, Schminke oder Klamotten.
Plötzlich drängt sich eine erwachsene Frau durch das brodelnde Treiben. Aus der sich vergnügenden Menge schält sich die Protagonistin von “Jupiter” heraus: die 14-jährige Lea (Mariella Aumann), definitiv nicht das It-Girl der Schule. Lea ist eher schüchtern und in Auftreten und Outfit unauffällig. Sie hat einige Schulfreundinnen, aber keine beste Freundin. Aus dem Gros der anderen sticht sie durch ihre teilweise eigenwilligen Ansichten heraus, die sie im Schulunterricht vehement verteidigt. So etwa ihre Theorie über die menschliche Evolution, die in ihren Augen nicht nur auf der Erde spielt.
“Wir müssen sofort los”, sagt die Frau (Laura Tonke), die sich als ihre Mutter entpuppt. Die verdatterte Lea setzt sich ins das vor der Tür wartende Auto der Familie. Es geht südwärts, den Alpen entgegen. Neben Lea fährt auch ihr jüngerer Bruder Paul mit. Die Eltern haben ein paar Klamotten eingepackt. Sie hätten Lea zuhause erwartet, doch die Zeit drängt. Als Zuschauerin erfährt man vorerst so wenig wie Lea mehr über den Grund des überstürzten Aufbruchs.
Am Nachmittag des folgenden Tages parkt der Vater (Andreas Döhler) das Auto am Rande einer abgelegenen Landstraße. Die Familie steigt zu einer unterhalb des Gipfels liegenden Siedlung hoch. Es ist die abgelegene Residenz einer kosmischen Sekte, die den Ursprung der Menschheit auf dem Jupiter verortet und in den nächsten Tagen einen Kometen beobachten will.
“Jupiter” von Benjamin Pfohl geht auf einen 13-minütigen titelgleichen Kurzfilm aus dem Jahr 2019 zurück, der von einer Jugendlichen handelt, die nicht nur mit ihrer Pubertät, sondern auch mit dem bizarren Verhalten ihrer Eltern, dem Autismus ihres Bruders und dem Wahn einer Sekte zurechtkommen muss. Der Kurzfilm vermengte in erfrischend ungewohnter Weise Science-Fiction-Vorstellungen, religiösen Kult und jugendliche Bewusstwerdung, was nun auch den Kern des zusammen mit Silvia Wolkan fortgeschriebenen Drehbuchs darstellt.
Erzählt wird weitgehend aus der Perspektive der 14-jährigen Protagonistin. Die Ereignisse der Gegenwart bilden dabei den roten Faden einer Geschichte, die sich durch fragmentierte Erinnerungsstücke zunehmend verdichtet und Lea schließlich vor ein abgründiges Dilemma stellt. Neben die Bilder des aktuellen Geschehens schieben sich interstellare Aufnahmen aus dem All und Szenen aus dem früheren Leben von Leas Familie.
Die heiteren Momentaufnahmen aus ihrer Kindheit werden zunehmend durch Bilder verdrängt, welche die durch den Autismus ihres Bruders ausgelöste Überforderung der Eltern beleuchten. Es gibt also durchaus Gründe, warum die Eltern den kruden Versprechungen des charismatischen Sektenführers Wolf (Ulrich Matthes) Glauben schenken.
Auf dem Berg muss sich Lea dann entscheiden, ob sie weiterhin ihren Eltern folgt oder ihre eigenen Wege zu gehen versucht. Es gibt wenige Filme, die das Reifen einer von ihrer Familie behüteten Jugendlichen zur eigenverantwortlichen Person derart präzise schildern wie “Jupiter”.
Dass diese Bewusstwerdung und Transformation einer Pubertierenden in eine junge Erwachsene gelingt, ist vor allem das Verdienst von Mariella Aumann, die Lea robust, aber zugleich auch verletzlich und sehr einfühlsam spielt. Leas Gehorsam gegenüber den Schutz und Geborgenheit sichernden Eltern steht dabei im krassen Gegensatz zu ihrem impulsiven Willen, das Leben auf der Erde nicht zu verpassen. Es ist ihre innere Zerrissenheit, die den Film menschlich groß werden lässt.