Da stehen sie, die Jünger, haben die Köpfe in den Nacken gelegt und können es nicht glauben. Jesus ist vor ihren Augen verschwunden; eine Wolke hat ihn aufgenommen. „Wech isser“, würde man auf Westfälisch sagen. Aber so lakonisch können die Männer und Frauen, die auf dem Ölberg bei Jerusalem versammelt sind, nicht reagieren. Sie fühlen sich ganz einfach verlassen und völlig ratlos.
Dabei hatten sie doch gerade eine Zeit der Wunder erlebt, jenseits alles Vorstellbaren. Jesus war auferstanden. 40 Tage lang, vom Ostermorgen an bis Himmelfahrt, leben die Jünger mit ihm. Sie können ihn sehen, mit ihm sprechen, essen – aber er macht auch klar: Eigentlich gehört er bereits in eine andere Wirklichkeit. Er lässt sich von Maria Magdalena nicht mehr berühren, und er verschwindet vor den Augen der Emmaus-Jünger. Er ist nicht mehr greifbar, nicht mehr verfügbar. Ein Mensch, aber doch nicht mehr ganz menschlich; auf der Erde, aber nicht mehr ganz von dieser Welt.
Ein Mensch nicht mehr ganz von dieser Welt
Es ist eine merkwürdige Zwischenzeit, diese Zeit des Auferstandenen auf der Erde. Eine Zeit der Wunder, aber auch der Zweifel.
Am Himmelfahrtstag, 40 Tage nach der Auferstehung, scheint dann alles wieder zurechtgerückt: Der Auferstandene verlässt die Sphäre des Irdischen endgültig. Er entschwindet zusehends vor den Augen der Jünger, erzählt der Evangelist Lukas, und ihnen bleibt nur, ihm in den Himmel hinterherzuschauen.
Also ist alles wieder so wie zuvor – die Erde den Menschen, der Himmel als Gottes Machtbereich?
Ganz und gar nicht. Denn mit der „Aufhebung“ Jesu zu Gott ist eine Bewegung zu Ende geführt, die Himmel und Erde verändert. Sie beginnt mit der Geburt in Bethlehem: Gott verlässt den Himmel und wird ganz Mensch – „entäußert sich all seiner G’walt, wird niedrig und gering“ –, um ein Leben auf dieser Erde zu führen und dann zurückzukehren. Damit ist die Grenze zwischen Himmel und Erde durchlässig geworden. Die Sicht der Menschen auf Gott hat sich verändert. Noch deutlicher als vorher ist jetzt klar: Gott ist nah wie ein Vater und eine Mutter. Seine Gerechtigkeit heißt Gnade, Barmherzigkeit, Liebe – und nicht das Aufrechnen von Regelverstößen. Gott leidet mit den Menschen und geht mit ihnen bis in den Tod. Und schließlich besiegt er den Tod und entreißt das menschliche Leben der endgültigen Vergänglichkeit; bringt Leben und ein unvergängliches Wesen.
Das verändert die Welt. Göttliches bleibt auf der Erde zurück – der Maler eines mittelalterlichen Erbauungsbuches, das um 1360 wahrscheinlich in Westfalen entstanden ist, hat das ganz bildhaft dargestellt: Während Jesus in den Wolken verschwindet, bleiben seine Fußstapfen deutlich sichtbar auf der Erde zurück. Gott hat einen Abdruck in dieser Welt hinterlassen.