Julian muss man einfach bewundern. Ganz früh steht er auf. Aus Obst und Gemüse mischt er sich den Frühstückstrunk. Anschließend joggt er durch den Park. Dann geht es zur Arbeit. Müsli, klares Wasser, grüner Tee. Und abends noch eine Stunde Kraft-und Ausdauertraining.
Julian ist 31, und alles, was er macht, ist vorbildlich.
Julian ist einem aber auch ein bisschen unheimlich. Denn er schafft, wovon die meisten anderen Menschen nur träumen. Und woran sie immer wieder scheitern: Julian bekämpft den inneren Schweinehund nicht – er hat ihn längst besiegt.
Julian ist Teil einer Bewegung. Hierzulande sind es zehntausende, weltweit Millionen meist junger Menschen, die das Beste aus sich herausholen wollen. Keine Minute des Lebens vergebens – alles dient dem Zweck: stärker, schöner, effizienter. Selbstoptimierung ist das Stichwort. Die Botschaft: Nur einer ist für Erfolg und Glück in deinem Leben verantwortlich – und das bist du.
Dieser Gedanke an sich ist nicht neu. Jeden Tag ein Stückchen besser, ein Leben lang sich selbst eine Herausforderung sein – das gab es zu allen Zeiten.
Neu sind die Hilfsmittel, die das digitale Zeitalter zur Verfügung stellt. Armbänder, die den Puls messen, zurückgelegte Wegstrecke und verbrauchte Kalorien. Sie helfen, Daten aufzuzeichnen. Reizen den Spieltrieb. Steigern die Motivation. Erfolge werden über Internet und soziale Medien mit anderen geteilt. Sensoren, Apps für das Smartphone, Computerprogramme – das Tagebuch, in dem man sich Rechenschaft über sein Tun und Lassen gab, wirkt da wie ein Relikt aus der Steinzeit.
Strahlend. Erfolgreich. Gut aussehend. Sympathisch. So würde man ja eigentlich gerne auch selbst sein.
Was aber, wenn man das nicht schafft?
Ein System, das auf Optimierung setzt, lässt wenig Platz für die, die nicht mithalten können. Sei es, weil sie den eisernen Willen nicht aufbringen. Oder weil Krankheit oder Behinderung sie beeinträchtigen.
Du Narr, sagt die Bibel im Gleichnis vom reichen Kornbauern. Du kannst planen, schuften und dich abrackern. Aber du hast es nicht in der Hand. Ob dein Leben etwas wert ist, hängt nämlich nicht von dir ab – egal, was dir Seminare und Video-Tutorials erzählen. Wenn du Anerkennung brauchst, wenn du willst, dass dein Leben bedeutsam ist und etwas zählt – dann brauchst du dich dafür nicht abzurackern.
Denn alles ist bereits getan: Gott liebt dich. So, wie du bist. Auch und gerade im Scheitern. Im Unvollkommensein. Er liebt dich. Bedingunglos.
Natürlich liebt er dich auch, wenn du dich anstrengst. Insofern muss Julian nicht aufhören, richtige Dinge zu tun. Aber er sollte sie nicht aus den falschen Gründen tun. Und nicht übertreiben.
Ob am Ende des Tages 60, 80 oder 95 Prozent auf dem Tracker stehen. Oder ein Tag auch mal nur aus Faulenzen besteht: Das macht keinen Unterschied. Nicht in dem, was du als Mensch wert bist.