Predigttext
1 Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter anzuwerben für seinen Weinberg. 2 Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. 3 Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere auf dem Markt müßig stehen 4 und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. 5 Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. 6 Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? 7 Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand angeworben. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg. 8 Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. 9 Da kamen, die um die elfte Stunde angeworben waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. 10 Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeder seinen Silbergroschen. 11 Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn 12 und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und die Hitze getragen haben. 13 Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? 14 Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. 15 Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du darum scheel, weil ich so gütig bin? 16 So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.
Gottes Gerechtigkeit ist anders. Das ist die gängige Pointe zu der Geschichte vom „gerechten“ Weinbergbesitzer: Wir Menschen rechnen und bewerten, bemessen nach der Leistung und zahlen entsprechenden Lohn. Gott dagegen schaut auf unsere Bedürfnisse: Was braucht ein Mensch zum Leben? Das soll er bekommen.
So einfach – und doch so schwer. Ja, Gott ist ein großzügiger, ein gnädiger Gott. Er fragt nicht nach Höchstleistung – aber wonach dann? Vielleicht gibt der Predigttext auch darauf eine Antwort.
Richten wir den Blick weg von der Frage nach der Bezahlung, hin zu den Weinreben, die so voller reifer, saftiger Trauben hängen, dass die Äste die Last kaum tragen können; und auf die Sonne, die unbarmherzig vom Himmel brennt und die Ernte zu verderben droht. Nur noch ein oder zwei Tage, und die Trauben werden Schaden nehmen; höchste,allerhöchste Zeit für die Ernte.
Darum wimmelt es im Weinberg heute von Arbeiterinnen und Arbeitern, in der Hand eine Schere, auf dem Rücken die Bütte. Sie schneiden und schleppen, schneiden und schleppen – aber die Reihen der Weinstöcke scheinen unendlich, und die Arbeit nimmt kein Ende.
Und so fährt der Weinbergbesitzer ein ums andere Mal ins Dorf, um weitere Helfer aufzutreiben. Er fragt die Kinder, die gerade Schulschluss haben. Er spricht die Büroangestellten in ihrer Mittagspause an. Schließlich, als es schon dem Abend zugeht, bittet er noch die Alten am Brunnen um Hilfe, die sonst niemand mehr fragt, und lädt sie ins Auto, damit sie den Weg hoch zum Weinberg schaffen.
Alle tun, was sie können: Schneiden und schleppen, Trauben sortieren, Traktor fahren, Verpflegung vorbereiten. Alle tragen etwas bei zur Ernte – die einen einen ganzen Tag Arbeit, die anderen nur einen Bruchteil davon. Jede Hand zählt.
Die Sonne geht schon unter, als es endlich soweit ist: In langer Reihe stehen die Körbe mit den Trauben vor der Kelter. Die Presse wird noch die ganze Nacht laufen, aber die Erntehelfer haben ihr Werk vollbracht.
Jetzt sitzen sie auf dem Parkplatz und spüren jeden Knochen im Leib; die Fitten und die Klapprigen, die Jungen und die Alten, die Tagesarbeiter und die, die nur die letzten beiden Stunden dabei waren. Zufriedenheit breitet sich aus, denn alle gemeinsam haben sie geschafft, was wenige nicht geschafft hätten: Die Ernte ist gerettet. Die Mühe hat sich gelohnt! Ein gutes Gefühl; ein Gefühl, das verbindet.
Spielt es da noch eine Rolle, dass der Weinbergbesitzer, als er alle zusammen schließlich zum üppigen Abendessen einlädt, jedem den gleichen Geldschein in die Hand drückt? Staunend hält ein kleines Mädchen die für sie märchenhafte Summe in der Hand. „Da meint es aber jemand gut mit dir!“, brummt ihm eine Arbeiterin gutmütig zu. „Ja“, meint das Mädchen ernsthaft, „ich hab aber auch echt alles gegeben!“