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Interaktion Mensch-Maschine: Computer-Visionär war seiner Zeit voraus

Die Bedeutung des US-amerikanischen Computertechnikers und Erfinders Douglas C. Engelbart (1925-2013) wird nach Ansicht des Sprachforschers Henning Lobin unterschätzt. Der Erfinder der Computermaus sei ein „Techno-Visionär“ gewesen, der bereits in den 1960er-Jahren die kontinuierliche Interaktion von Menschen mit einem Computer erahnte, sagte der Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim dem Evangelischen Pressedienst (epd). Damit sei Engelbart seiner Zeit voraus gewesen.

epd: Herr Professor Lobin, Sie betreiben den Blog „Die Engelbart-Galaxis“. Was fasziniert sie an dem erfindungsreichen Ingenieur, der vor 100 Jahren geboren wurde?

Lobin: Douglas Engelbart war ein Techno-Visionär, dessen Einfluss auf uns heute kaum zu überschätzen ist. Er hat als erster vorausgesehen, was für uns heute selbstverständlich ist: die kontinuierliche Interaktion mit einem Computer, heute natürlich oft in Gestalt eines Smartphones oder eines Tablets. Das gab es zuvor noch nicht, denn die Großrechner der 1960er-Jahre arbeiteten ohne Kontakt zur Außenwelt. Die Kommunikation mit ihnen erfolgte über eine Art Fernschreiber. Engelbart hat uns als „Benutzer“ im heutigen Sinne erfunden.

epd: Engelbart hat als einer der ersten erkannt, dass der Computer menschliche Fähigkeiten erweitern kann. War er seiner Zeit voraus?

Lobin: Als Visionär war er seiner Zeit voraus, aber er nutzte die Möglichkeiten seiner Zeit. Beispielsweise verwendete er für sein erstes interaktives System einen Radarbildschirm, weil Fernsehgeräte noch nicht die Projektion von Schrift erlaubten. Aber auch er stand auf den Schultern von Vorgängern.

epd: Engelbart legte den Grundstein dafür, wie wir heute Computer nutzen. Der Wandel geht rasant weiter, zum Beispiel mit KI-Chatbots. Hatte er das vorausgeahnt?

Lobin: So weitreichend hat sich Engelbart nicht geäußert, und in technischer Hinsicht konnte man in den 1960er-Jahren auch nicht absehen, dass derartige Fähigkeiten tatsächlich erreicht würden. Es gab damals zwar einen großen KI-Optimismus, die Methoden waren allerdings ganz andere und bilden nicht die Grundlagen von heutiger Systeme wie beispielsweise ChatGPT.

Vorstellungen, was einmal möglich sein könnte, entstanden damals aber in der Literatur und im Film, zum Beispiel im Film „2001: Odyssee im Weltraum“ von Stanley Kubrick. Engelbart ist der Großvater der Entwicklung, die von damals zu uns heute geführt hat.

epd: Ähnlich wie der Buchdruck hat auch die Digitalisierung für einen Umbruch gesorgt.

Lobin: Durch die Digitalisierung werden wir als Menschen nicht nur unterstützt bei dem, was wir tun, sondern in immer mehr Bereichen sogar ersetzt. Das ist neu in der Geschichte der Technologie-Entwicklung – der Buchdruck hat zu einer enormen Beschleunigung des Schreibprozesses geführt, für die Erstellung von Texten wurden aber weiterhin Menschen gebraucht. Computer hingegen sind universale Maschinen, die auch selbständig handeln können, wenn sie über eine entsprechende Programmierung verfügen.

Bei der Sprachnutzung etwa haben wir es erstmals mit einer Situation zu tun, bei der nicht nur Menschen lesen und schreiben, sondern auch intelligente Maschinen. Und so wie Menschen immer auch die Sprachentwicklung beeinflusst haben, werden es nun auch Sprachsysteme tun. In diesem Sinne sind wir Menschen nicht mehr die einzigen, die zur kulturellen Evolution beitragen.

epd: Wie werden sich Lesen und Schreiben weiterentwickeln?

Lobin: Ich denke, dass an der Beherrschung der Kulturtechniken des Lesens und Schreibens auch weiterhin kein Weg vorbeiführen wird, denn Argumentationen, Erklärungen, Beschreibungen komplexer oder abstrakter Sachverhalte können nur im Medium der Sprache vorgenommen werden. Zugleich verfließen aber mit technischer Unterstützung die Grenzen immer mehr, zwischen geschriebener und gesprochener Sprache, zwischen Bild und Text, zwischen langen und kurzen, einfachen und komplex geschriebenen Texten. Sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen werden wir uns zunehmend unterstützen lassen.

Das Grundproblem ist, dass die Fähigkeit des Lesens komplexer Texte über Jahre hinweg sehr, sehr viel Übung und Anstrengung erfordert. Meine Sorge ist, dass dies immer weniger Menschen auf sich nehmen. Am Ende könnte eine Gesellschaft stehen, in der sehr viele nur noch mit Unterstützung intelligenter Assistenten kognitiv anspruchsvolle Aufgaben in konventioneller Weise erledigen können, während einige wenige davon unabhängig sind und aus eigener Kraft heraus Neues schaffen. Das wäre eine neue Variante der digitalen Spaltung der Gesellschaft, die wir nicht eintreten lassen dürfen.