Wo das menschliche Auge nicht weiterkommt, hilft bisweilen Technik: Eine Schriftrolle aus Herculaneum verrät nach fast 2.000 Jahren erstmals ihren Titel. Möglich wurde das auch durch Künstliche Intelligenz.
“Über die Laster” lautet der Titel einer mehr als 2.000 Jahre alten verkohlten Schriftrolle aus dem antiken Herculaneum. Dass dies nun bekannt ist, ist einem aktuellen und einem ehemaligen Würzburger Informatikstudenten zu verdanken, wie die Universität Würzburg am Donnerstag mitteilte. Bei der Rolle handle es sich um ein Werk des griechischen Philosophen Philodem, das dieser einst dem römischen Dichterfürsten Vergil widmete.
Demnach gelang es den beiden Forschern Marcel Roth und Micha Nowak, auf dem Scan einer Schriftrolle, die ein Computer-Tomograph angefertigt hatte, zwischen Papyrus und Tinte zu unterscheiden. Auf dieser Grundlage hätten die beiden eine Künstliche Intelligenz trainiert, die in ähnlicher Form auch bei der Interpretation medizinischer Röntgenbilder eingesetzt werde, heißt es. Diese habe schließlich auch dort Tinte identifizieren können, wo das menschliche Auge nicht mehr weitergekommen sei. Dieser Fortschritt in Kombination mit besseren Scans habe die Tintenerkennung erheblich verbessert.
Die Versuche der Studenten spielten sich dabei im Rahmen der sogenannten Vesuvius-Challenge ab, wie es heißt. Dieser Wettbewerb zielt darauf ab, die verkohlten Papyrusrollen von Herculaneum zu entschlüsseln. Dafür haben sie nun den mit 60.000 US-Dollar dotierten “First Title”-Preis der Challenge gewonnen.
Laut Mitteilung der Uni hatten die Forscher bereits bei einem früheren Scan Anhaltspunkte dafür gefunden, dass der Titel am Ende der Rolle steht. Dies habe sich dann als korrekt herausgestellt. Hilfe bekamen die beiden demnach vom Tübinger Philologen und Papyrologen Kilian Fleischer. “Vermutlich war ich einer der Ersten, die den Titel seit der Antike wieder gelesen haben – nicht nur gesehen”, sagte der Experte. Das sei ein schönes Gefühl gewesen. Er hoffe, dass der Text in Würzburg und Tübingen weiter erschlossen werde. Denn weitere Teile der verkohlten Schriftrolle seien bereits eingescannt.
Herculaneum wurde im Jahr 79 nach Christus wie das benachbarte Pompeji beim Ausbruch des Vesuv unter Asche begraben und erst um 18. Jahrhundert wiederentdeckt. Bei den Ausgrabungen stießen die Archäologen demnach auf eine Villa, die eine Bibliothek mit etwa 1.000 auf griechisch verfassten Buchrollen enthielt – die Bibliothek des griechischen Philosophen Philodem. Nach dem Kontakt mit heißen Asche- und Gasströmen und 1.700 Jahren unter Gesteinsmassen gleichen die Rollen aber eher verbrannten Kohlebriketts oder Holzstücken, wie es heißt. Versuche, sie physisch zu öffnen, seien gescheitert und hätten bereits mehr als 600 Schriftrollen zerstört.