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In der Welt habt Ihr Angst

Erst Würzburg. Jetzt München. Trauer. Mitgefühl. Betroffenheit. Ohnmacht. Ratlosigkeit. Und Angst.

Africa Studio - Fotolia

Wenn etwas vor der eigenen Haustür passiert, rückt einem der Schrecke im wahrsten Sinne das Wortes auf die Pelle. Natürlich ist es nicht weniger schlimm, wenn in Nizza Menschen einem Anschlag zum Opfer fallen, in Paris oder Orlando. Ihnen und ihren Familien gehören unsere Gebete und unser Mitgefühl ebenso wie den Opfern und deren Familien hierzulande. 

Aber ein McDonald’s in Deutschland – mein Gott, das hätten meine Kinder sein können, die dort dem Mörder zum Opfer gefallen sind. 

Seit längerer Zeit schon warnen Sicherheitsbehörden vor genau solchen Szenarien: dass auch in Deutschland fanatisierte Einzeltäter oder Kleingruppen Terroranschläge ausüben könnten, die weder von Geheimdiensten vorherzusehen noch von der Polizei verhindert werden können. Jetzt ist es passiert.

Und die Angst wächst. 

Das ist absolut nachvollziehbar. Ich selbst bekam das zu spüren, als ich die Nachricht vom Axt-Attentäter im Zug nach Würzburg las: Mit genau diesem Zug fahren meine Frau und ich regelmäßig von der Schwiegerfamilie zurück in den Norden. Gott sei Dank – nicht an jenem Wochenende.

„Es kann jetzt jeden treffen.“ Das ist die Beklemmung, die sich in diesen Stunden fast zwangsläufig in die Knochen schleicht.

Nüchtern betrachtet, ist das natürlich Unsinn. Oder genauer gesagt: zwar richtig, aber banal. Eine Binsenweisheit. 

Denn das war ja auch vorher nicht anders: Es kann jeden treffen. Jederzeit. Auf der Autobahn. Beim Gardinen Aufhängen auf der Haushaltsleiter. Durch Schlaganfall, Herzinfarkt oder als Folgen von Verschlucken beim Essen. Und die statistische Wahrscheinlichkeit dabei ist absurd viel höher, als bei einem Amoklauf oder Terroranschlag zu sterben. Daran wird sich – nach menschlichem Ermessen – auch in nächster Zukunft nichts ändern.

Trotzdem sind Angst, zunehmende Beklommenheit bis hin zu Panikattacken verständlich. Denn es sind normale menschliche Reaktionen darauf, wenn der Schrecken hereinbricht. Tod auf der Autobahn, daran hat man sich gewöhnt. Aber der Terror – der ist neu für uns. Und er scheint und droht ja auch tatsächlich zuzunehmen.

Neben allem, was getan werden muss – und darüber wird in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten zu reden und möglicherweise auch zu streiten sein – sollte eines auf GAR KEINEN FALL geschehen: Wir dürfen nicht den Kopf verlieren. 

Das sagt sich so leicht. Und wer weiß, wie schwer das noch werden wird, wenn Terror und Gewalt noch näher an einen heranrücken – oder gar das eigene Umfeld treffen, die eigene Familie, den Freundeskreis.

Aber es hilft ja nichts: Wer wirklich sich dem Schrecken entgegenstellen will, MUSS nüchtern bleiben. Er MUSS klaren Kopf bewahren. Sich nicht von Angst, Wut und Ohnmachtsgefühlen leiten lassen. Schon in der Nacht, als noch überhaupt keine genauen Fakten über das Geschehen in München vorlagen, schossen in den sozialen Medien (man sollte sie vielleicht in diesem Fall treffender als „asoziale Medien“ bezeichnen) die Gefühle in beschämendste und erschreckendste Verirrungen. Schmutz wurde ausgekübelt, auf Migranten, Flüchtlinge, die Bundeskanzlerin. Andere hielten dagegen, oft nicht weniger aufgebracht. Statt sich vom Hass zu distanzieren, wurde er hier weitergetragen – nicht mit Äxten und Pistolen, aber in Worten, Hetze und Verwünschungen.

Ich habe einen Bruder. Der ist Feuerwehrmann. Ein Profi, der unzählige andere ausgebildet hat. Wenn ich den frage, was die wichtigste Voraussetzung ist für jemanden, der zwischen brennenden Trümmern, einstürzenden Dachbalken und glühenden Gastanks versucht, das Schlimmste zu verhindern, dann sagt der: Du darfst den kühlen Kopf nicht verlieren. Wer in Panik gerät, der hat schon verloren.

Die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen, Präses Annette Kurschus, hat zu den Anschlägen bemerkenswerte Worte gesagt: „In der Welt habt Ihr Angst“, zitiert sie Jesus Christus aus der Bibel, „aber seid getrost: Ich habe die Welt überwunden“. 

Das kann uns die Kraft geben, das Notwendige zu tun. Auch wenn es noch so schwer fällt.