Insa Lintz mag keine aufgeräumten Gärten. „Sie sind igelfeindlich“, sagt die Tierpflegerin im Hamburger Tierheim Süderstraße. Aktuell versorgt sie dort 37 abgegebene Igel, insgesamt wurden in diesem Jahr 491 aufgenommen. Erst kürzlich hat die Deutsche Wildtierstiftung den Igel zum Tier des Jahres 2024 ernannt, um auf seine Probleme aufmerksam zu machen. „Als ausgesprochene Insektenfresser sind Igel ein Indikator für intakte Ökosysteme und brauchen unseren besonderen Schutz“, bestätigt Tierheimleiterin und leitende Tierärztin Urte Inkmann. Durch das Insektensterben findet er weniger Nahrung, in aufgeräumter Landschaft fehlt der Unterschlupf, rund 500.000 Igel sterben jährlich auf deutschen Straßen, zählt die Stiftung auf.
Aktuell wird der Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) auf der Roten Liste der Säugetiere in der Kategorie „Vorwarnliste“ geführt. Damit sind Igel in Deutschland nicht vom Aussterben bedroht, könnten es aber bald sein. „Einzelne Studien belegen, dass der Bestand schleichend abnimmt“, sagt Artenschutz-Expertin Lea-Carina Mendel von der Deutschen Wildtier Stiftung. Genaue Zahlen für Deutschland gebe es bislang nicht. Um ein Bild von der Verbreitung zu erhalten, plant die Stiftung 2024 mit weiteren Akteuren wie dem Naturschutzbund (Nabu) bundesweite Igel-Zählaktionen.
Vor allem auf dem Land fehlt der passende Wohnraum, weil es dort kaum noch Hecken und Grünstreifen gibt. „Inzwischen leben in Städten bis zu neunmal so viele Igel wie auf dem Land“, sagt die Biologin Mendel. Die nachtaktiven Säugetiere hielten sich vermehrt in Parks und Gärten der Dörfer und Städte auf. Doch auch hier stoßen sie auf den igelfeindlichen Trend zu aufgeräumten Gärten. Auf sterilen Flächen finde der Igel keinen Platz für seine Nester, auch die Nahrung sei dort knapp: „In aufgeräumten Gärten finden die Igel nur wenig Nahrung wie Käfer oder Raupen von Schmetterlingen“, bedauert die 31-Jährige. Und dann sind da noch die Laubbläser und Mähroboter.
Laubbläser zerstörten Nester und die Nahrungsgrundlage, denn im Laub versteckten sich viele Insekten, erklärt die Biologin. Und während die 5.000 bis 7.000 aufgestellten Stacheln der Igel gegen frühere Hauptfeinde wie Uhu oder Dachse helfen, hat der Igel gegen Mähroboter keine Chance. Mendel: „Die Dunkelziffer der Opfer ist riesig.“ Igel heulen nicht auf, sondern schleppen sich mit schweren Verletzungen ins Gebüsch. „Hier würde es schon helfen, die Geräte nicht abends oder nachts laufen zu lassen, wenn Igel aktiv sind“, sagt die Expertin.
Auch ins Hamburger Tierheim kommen immer wieder Igel mit Schnittverletzungen. Gerade kontrolliert Tierpflegerin Lintz ihre Käfige. Der Kleine im rechten Käfig hat Glück gehabt, ihm wurden nur Stacheln abrasiert. Die meisten Igel, die aufgenommen werden, sind krank.
Lintz hebt ein Häuschen an, eingekuschelt im Laub schläft hier ein kleiner Igel. „Er ist zu klein, um draußen zu überwintern“, erklärt die 35-Jährige. Vorsichtig nimmt sie ihn auf die Hand, seine kleine schwarze Nase schnuppert in alle Richtungen. Lintz lächelt: „Ihm geht es schon viel besser.“ Jetzt muss er nur noch zunehmen, rund 650 Gramm sollten Jungtiere für den Winterschlaf wiegen. Um die Tiere aufzupäppeln, kocht sie Hühnchen, brät Eier, mischt gefrostete Insekten mit etwas Katzen- und Igelfutter. Als Leckerbissen gibt es Mehlwürmer.
Einige ihrer stacheligen Schützlinge sind unterernährt, andere haben Durchfall oder röcheln. Sie zu retten, ist nicht immer einfach: „Leider gibt es so viele Krankheiten“, sagt sie. Im Oktober starben fast alle auf der Station. Ein Problem sei, dass infolge des Insektensterbens die Igel in ihrer Not auch Schnecken und Regenwürmer fressen. „Diese sind jedoch Hauptüberträger von Parasiten, an denen die Igel sterben, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt werden“, erläutert Lintz.