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Himmelsrichtung Liebe

Über den Predigttext zum 20. Sonntag nach Trinitatis: Markus 2,23-28

Predigttext
23 Und es begab sich, dass er am Sabbat durch die Kornfelder ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. 24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? 25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, da er Mangel hatte und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: 26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? 27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.

Im Wohnzimmer meiner Oma hing ein großes Bild: Jesus und die Ähren raufenden Jünger im Kornfeld. Ich fand das Bild etwas altmodisch, aber es sprach mich auch an. So wie wir mit unseren Eltern am Sonntagnachmittag durch die nahe gelegenen Felder spazierten, mussten Jesus und seine Jünger es wohl auch gemacht haben. Sie hatten sich an den Kornblumen und den goldgelben Ähren gefreut  und  ein paar von ihnen abgepflückt. Das taten wir manchmal auch. Wir streiften die Körner ab und zerrieben sie zwischen den Fingern. Warum sollte Jesus und seinen Jüngern das verboten sein?

Was die Pharisäer dagegen einzuwenden hatten, wusste ich damals nicht. Vielleicht sahen sie es als Diebstahl an, dachte ich mir. Weil die Felder ja nicht ihnen gehörten. Uns war es ja auch nicht erlaubt, aus dem Garten des Nachbarn Äpfel mitzunehmen.

Eine groteske Haarspalterei?

Niemals wäre ich darauf gekommen, dass die frommen Männer das Abzupfen der wenigen Ähren und Zerreiben der Körner als Arbeit ansehen könnten. Wie ich später erfuhr, war aber genau dies der Grund ihrer Kritik. Denn dem frommen Juden war am Sabbat jede Form von Arbeit verboten. Jesus und seine Jünger waren gläubige Juden und wussten genau, wie wichtig das Gebot ist, den Feiertag zu heiligen. Sie kannten sicher auch die lange Liste, die  rechtgläubigen Juden in allen Einzelheiten vorschrieb, was am Sabbat alles verboten war.

Uns kommt die kleinliche Haarspalterei der Pharisäer heute ziemlich grotesk vor. Doch Jesus setzt sich ernsthaft mit ihnen auseinander. Er beweist ihnen mit einem Zitat aus der Heiligen Schrift, dass auch David und seine Freunde von den Schaubroten der Stiftshütte aßen, als sie in Not waren, obwohl diese eigentlich  nur den Priestern vorbehalten waren.

Jesus macht damit deutlich, dass selbst in der Heiligen Schrift menschliche Not Vorrang hat vor allem, was sonst selbstverständlich gilt. Auch die Jünger brechen ein Gebot, weil sie Hunger haben. Wenn Menschen krank sind, muss ihnen geholfen werden, ob Feiertag oder nicht. Wenn ein Unfallopfer gerettet werden soll, muss ein Krankenwagen auch einmal an sich gültige Verkehrsregeln missachten. So kann es im Einzelfall auch notwendig sein, gegen Gebote zu verstoßen. Denn: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.

Mit diesem einen Satz legt Jesus den Kern aller Gebote frei: Der Mensch darf nicht zum Sklaven von Geboten und Regeln werden. Die Gebote sollen den Menschen nicht bedrücken, sondern dienen einem guten Leben und Zusammenleben. Jesus hebt damit die Gebote nicht auf, sondern leitet an, sie noch einmal mit einer anderen Brille zu lesen: mit der Liebe. Denn die Liebe zu Gott und zum Nächsten ist für ihn das höchste Gebot. So leitet Jesus uns an, immer genau zu prüfen: Was  dient  dem Leben und was behindert es? Was hilft, dass Menschen sicher und frei zugleich leben können?

Regeln müssen immer wieder überprüft werden

Diese Leitfragen sind durchaus auf die gegenwärtige Diskussion um die Corona-Maßnahmen anwendbar. Immer wieder muss geprüft werden: Welche der Regeln dienen dem Leben und der Gesundheit der Menschen, welche sind sinnvoll und angemessen? Und welche gehen weit übers Ziel hinaus und schränken Lebens- und Freiheitsrechte zu sehr ein? Das ist nicht immer leicht zu entscheiden. Was dem Leben dient und uns die Liebe ins Herz schreibt, soll unser Kompass sein.