Lübeck. Dass sie jeden Tag am Rad dreht, das gibt Susanne Jordan gern zu. „Ich bin Fahrradmonteurin. Bei mir läuft alles rund“, sagt die 40-Jährige und lacht. Sie ist eine von zwölf Mitarbeitenden, die in der Fahrradwerkstatt auf dem Gelände der Vorwerker Diakonie in Lübeck arbeiten. Jeder in dem kleinen Team ist körperlich oder psychisch beeinträchtigt. Alle geben sich gegenseitig Kraft – gerade in Zeiten von Corona. Die Werkstatt konnte im ersten und zweiten Lockdown durchgehend offen gehalten werden. „Ich brauche meinen geregelten Tagesablauf“, sagt Jordan. „Ich bin so froh, dass ich jeden Morgen kommen kann.“
Susanne Jordan werkelt gern an den Rädern
Sie repariert, schraubt und ölt. Bis zu zehn Räder schaffen alle gemeinsam am Tag. Mit ihrem Betreuer Holger Gehrmann verbindet sie ein echtes Vertrauensverhältnis. Der 58-Jährige ist nicht nur ihr Mentor, sondern auch eine wichtige Stütze. Beide kannten sich schon, als sie 2007 ihre Ausbildung in der Werkstatt begann. „Ich habe vorher ein siebenmonatiges Praktikum gemacht und schon nach drei Wochen einen eigenen Praktikanten an meine Seite bekommen“, erzählt Jordan. Ihre Lehre schaffte sie mit Auszeichnung. „Bei Susi standen bis auf ein Fach nur Einsen auf dem Zeugnis“, erinnert sich Gehrmann.
Die Fahrradwerkstatt ist ein beliebter Arbeitsplatz
In dem kleinen Raum herrscht kreatives Chaos. Alle Werkbänke sind belegt. Überall sammeln sich Schraubenschlüssel, Reifen und Rahmen. Auch an den Wänden hängt jede Menge Werkzeug. Jeder trägt eine Maske. Gemeinsam wird auf die Abstände geachtet. Die Werkstatt gibt eine feste Alltagsstruktur vor, die alle brauchen. Es geht aber auch darum, mit der Arbeit Sinn zu stiften und Lebensqualität zu ermöglichen. Der Pressesprecher der Vorwerker Diakonie, Lutz Regenberg, sagt: „Die Menschen sollen selbstständig sein und trotzdem einen festen Anker bei uns haben.“ Der ist in dieser Zeit wichtiger denn je.
Masken-Herstellung statt Fahrrad-Montage
Susanne Jordan leidet am Borderline-Syndrom. „Ich will immer alles richtig machen und setze mich selbst unter Druck“, sagt sie. „Dadurch gerate ich in Stress. Es wird dann so schlimm, dass am Ende gar nichts mehr geht.“ Doch sie fängt sich immer wieder, lässt sich nicht unterkriegen. „Wir haben im ersten Lockdown längere Zeit im Zwei-Schicht-System gearbeitet, um die Abläufe zu entzerren“, sagt Gehrmann.
Als die Kunden wegblieben, machte die Werkstatt aus der Not eine Tugend. In einer Hauruck-Aktion mit der Näherei habe man innerhalb von acht Wochen etwa 25.000 Masken gefertigt. „Auf dem Markt konnten keine Masken eingekauft werden. Wir mussten die Sache selbst in die Hand nehmen“, erklärt Regenberg. Susanne Jordan und ihre Kollegen waren für die Nasendrähte in den Masken zuständig.
Im Moment wird das Impfen vorbereitet
„Bis wir dran sind, werden wir jeden Mittwoch getestet. Wir hatten bisher keinen einzigen Corona-Fall in der Werkstatt“, erklärt Gehrmann. Susanne Jordan ist die einzige Frau im Team und mächtig stolz darauf: „Wenn ich sage, was ich mache, dann höre ich oft: ‚Das hätte ich nicht gedacht.‘“ „Susi ist meine Mutter Teresa“, erzählt Gehrmann. „Sie schlichtet, wenn die Männer streiten, und achtet immer auf die Schwächeren.“ Jordan sagt: „Frauen sind einfach nur zickig. Ich habe meinen Realschulabschluss in einer Mädchenklasse gemacht. Da gab es jeden Tag Zoff.“ In der Werkstatt mit den männlichen Kollegen fühlt sie sich wohl.