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Heilig und erwählt

Über den Predigttext zum 6. Sonntag nach Trinitatis: 5. Mose 7,7-9

Predigttext
7 Nicht weil ihr zahlreicher seid als andere Völker, hängt Adonaj an euch. Deswegen hat er euch nicht erwählt – schließlich seid ihr das kleinste unter allen Völkern! 8 Nein, weil Adonaj euch liebt und sich an den Schwur hält, den er euren Vorfahren geschworen hat, führte Adonaj euch mit starker Hand aus dem Haus der Sklavenarbeit und kaufte euch aus der Hand Pharaos, des Königs von Ägypten, frei. 9 Daran sollst du erkennen, dass Adonaj, deine Gottheit, Gott selbst ist, eine treue Gottheit nämlich, die sich an die Zusage hält und über 1000 Generationen hinweg denen gegenüber freundlich ist, die sie lieben und sich an ihre Gebote halten.
Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache

Es klingt ja beinahe ironisch, wenn ich mir anschaue, mit wem Gott laut der Bibel Geschichte schreibt und wer erwählt wird:

Propheten, die sich selbst nichts zutrauten, wie Jesaja; Frauen, die keinen Stellenwert in der damaligen Gesellschaft hatten; Jünger wie Petrus, die trotz großer Klappe tief fielen; Könige wie David, die brutal Grenzen überschritten, und ein geschwächtes, orientierungsloses Volk aus geflohenen Sklav*innen.

Gott hatte immer die Wahl

Dabei hatte Gott immer die Wahl. Es gab auch damals weitaus erfolgversprechendere Menschen. Es sollte aber das kleine wandernde Volk sein, das weder eine Leitung noch Land besaß, aber „Heiliges Volk“ genannt wurde. Heilig und erwählt, obwohl sie zahlreiche Mahnungen missachteten.
Sie haben andere Götter verehrt, waren untreu, haben sich über Gottes Gebote hinweggesetzt und haben egoistisch gehandelt.

Und dennoch hat Gott den Bund mit dem Volk Israel niemals aufgelöst – ganz im Gegenteil: Der Bund wurde sogar ausgeweitet durch den neuen Bund in Jesus Christus und gilt bis heute – auch uns. Gottes Liebe und Treue gilt nicht mehr einem einzigen Volk, sondern allen Völkern bedingungslos.

Und genau das hat für meinen Glauben eine tiefe Bedeutung. Als Schwarze Deutsche  wird mir von klein auf vermittelt, dass ich nicht ganz in Deutschland dazugehöre. Mal freundlich oder mal weniger freundlich wird mir mein ganzes Leben bis heute suggeriert, dass ich nicht Teil der Mehrheit bin und zu einer anderen Gruppe dazugehören muss. Diese Gruppe habe ich jedoch nie wirklich gefunden, weil es keine Schublade gibt, in die ich diesbezüglich reinpasse.

Gottes Geschichte mit den Menschen jedoch sagt mir ganz klar: „Du bist erwählt und geliebt. Es ist völlig egal, in welche Schublade du passt oder nicht passt. Ich will mit genau dir Geschichte schreiben. Ich habe immer mit Menschen Geschichte geschrieben, die nicht in Schubladen zu quetschen waren.“

Tiefe Gewissheit: Ich gehöre dazu

Ich war fünf Jahre alt, als ich getauft wurde und ich kann mich an keinen Tag meiner frühen Kindheit so klar erinnern, wie an diesen. Wochenlang habe ich mit meiner Oma den Predigttext (der auch meinen Taufvers beinhaltete) auswendig gelernt, damit ich ihn vor der ganzen Gemeinde vortragen konnte. Es war ein besonderes Ereignis und gibt mir bis heute die tiefe Gewissheit: Ich gehöre doch dazu. Ich bin Teil der weltweiten Christenheit, die in keine Schublade passen soll und muss.

Und das wird sogar in meiner Berufswahl und in der Wahl meiner Gemeinde deutlich. In beiden Kontexten wird das „Signum Ecclesiae“ (Kennzeichen der wahren Kirche) deutlich: Kirche ist von Anfang an divers – also nicht einheitlich, ungleichartig,  verschieden – gedacht.

Gott denkt weiter als die Menschenverächter

Und das gibt mir Kraft, Gewissheit und Mut. Mein Gott erwählt – mich, dich und so viele Menschen weltweit, die ich überhaupt nicht auf dem Schirm habe. Menschen, die sich nicht dazugehörig fühlen, die ausgeschlossen sind, diskriminiert werden, am Rande der Gesellschaft stehen, einfach nicht gesehen und überrannt werden oder aus irgendwelchen menschengemachten Gründen abgewertet werden.

Mein Gott ist größer, denkt weiter und liebt mich. Darüber staune ich jeden Tag und genau das treibt mich an, anderen davon zu erzählen.