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Hefezopf mit Heuschreckenmehl

Chrysantus Tanga zieht seine Hand durch eine Kiste, die auf den ersten Blick nur Weizenkleie enthält. So bringt der Wissenschaftler die Mehlwürmer ans Tageslicht, die sich unter den Getreiderückständen verkrochen haben. „Wir füttern sie damit, mit einem Abfallprodukt.“ Tanga arbeitet am Icipe, dem „Internationalen Zentrum für Insektenphysiologie und -ökologie“ in Kenias Hauptstadt Nairobi. Die Abteilung, die er leitet, erforscht, wie Insekten als Nahrungsquelle für Menschen und Tiere genutzt werden können. Im Fokus: Mehlwürmer, Heuschrecken und schwarze Soldatenfliegen. Die Larven dieser Insekten verwandeln selbst Fäkalien in hochwertiges Eiweiß.

Mit der Hand schaufelt Tanga etwas von der Weizenkleie-Mehlwurm-Mischung in ein Sieb und bewegt es, bis nur noch die Mehlwürmer übrig bleiben. „Die kann man essen“, sagt er. „Sie schmecken ein wenig nach Milch.“ Und sie bestehen zu 62 Prozent aus Protein. Der aus Kamerun stammende Forscher ist davon überzeugt, mit der Aufzucht und Verarbeitung von Insekten eine einfache Lösung für das scheinbar unlösbare Problem der Ernährungssicherheit in Afrika gefunden zu haben, eine Art Wunderwaffe.

Die Anregung für das Forschungsprojekt am Icipe kam 2010 von der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der FAO. Millionen Menschen weltweit wissen nicht, woher sie ihre nächste Mahlzeit nehmen sollen. Die Weltbank schätzt die Zahl derjenigen, die 2021 unter einer gravierend unsicheren Ernährungslage litten, auf 924 Millionen.

„Eine weitere Grundüberlegung war, dass unsere gegenwärtigen Lebensmittelsysteme sehr viele Ressourcen verbrauchen“, erklärt Tanga: viel Land und viel Wasser zum Beispiel. Ganz anders die Insekten-Produktion. Benötigt man für ein Kilo Rindfleisch etwa 1.500 Liter Wasser, ist es pro Kilo Larven nur ein Liter. Zudem ernähren sich Insekten von Abfällen aller Art, beispielsweise Viehdung. Wenn die Kleinstlebewesen an Vieh verfüttert werden, können die Ausscheidungen des Viehs wieder als Futter für Insekten dienen – ein Kreislauf.

Studien zufolge gibt es weltweit 2.000 nutzbare Insektenarten, davon gut 520 in Afrika. Für schätzungsweise zwei Milliarden Menschen weltweit sind Insekten laut dem Icipe bereits heute Teil der Nahrung. „Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, wir lebten im Herzen des Regenwalds“, erinnert sich Tanga an seine Kindheit in Kamerun. „Da gibt es jede Menge Insekten: Raupen, Grillen und Heuschrecken.“

Die Eltern hätten den Kindern Insekten als Geschenk mitgebracht, wenn sie abends von der Feldarbeit kamen, erzählt der Forscher. „Während sie in der Küche kochten, rösteten wir schon mal unsere Grillen, um den ersten Hunger zu stillen. Ich bin also damit aufgewachsen und esse Insekten leidenschaftlich gerne.“

Und noch auf eine weitere Weise will Tangas Team Afrikanerinnen und Afrikanern zu mehr Protein verhelfen: Wenn Hühner oder Schweine nicht länger mit Soja oder Fischmehl, sondern mit Insekten gefüttert werden, bleiben mehr Soja und Fische für die Menschen übrig – auch für diejenigen, die sich auch in Zukunft nicht unbedingt für Insekten begeistern lassen. Die einfache und billige Aufzucht von Mehlwürmern, Soldatenfliegen oder Heuschrecken könnte außerdem eine zusätzliche Einnahmequelle für Kleinbauern sein.

Die Köchinnen und Köche von Tangas Forschungsinstitut haben hingegen keinerlei Berührungsängste. Sie haben panierte Heuschrecken, Omelett mit Mehlwürmern, Insektenkekse und einen Hefezopf mit etwas Insektenmehl zubereitet. Die Idee hinter den Backwaren: Das eiweißhaltige Insektenmehl verbessert den Nährwert, aber die Insekten sind beim Essen nicht als solche zu erkennen, was den Ekel bei ungeübten Essenden vermindert.

Zur Verkostung sind einige Studierende und Forschende des Instituts gekommen. Ruth Moses, die für eine Weiterbildung einige Tage lang am Icipe zu Gast ist, fängt mit dem Hefezopf an und probiert sich dann durch. „Ich mag die angereicherten Lebensmittel“, sagt sie schließlich. Der Hefezopf schmeckt dank der Insekten etwas nussig, an den frittierten Heuschrecken lobt Moses, dass sie „angenehm knusprig“ seien. Beim Mehlwurm-Omelett fallen die Würmer vor allem optisch auf, geschmacklich sind sie kaum auszumachen. „Sogar das mochte ich“, sagt Moses fast erstaunt. Am meisten hat allerdings Insektenkundler Tanga das Buffet genossen – vor allem, weil er Insektenfans dazu gewonnen hat.