Solch eine Würdigung hat die evangelische Kirche schon länger nicht mehr so deutlich aus der Bundespolitik gehört: „Auf Sie ist immer Verlass“, lobte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am Sonntag vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Ulm. Eine „wichtige Instanz“ sei die evangelische Kirche. Sie baue Brücken, vermittele Werte, werde gerade in Krisenzeiten gebraucht, sagte Bas vor den Synodalen, die sich bei ihrer Tagung mit der Relevanz der Kirche und ihren Aufgaben in der Gesellschaft befasst. Den Zuhörenden wird es gefallen haben.
Denn es hat etwas gedauert, bis die neue Koalition aus SPD, Grünen und FDP die trotz Mitglieder- und Vertrauensverlust immer noch beachtliche Größe und Bedeutung der Kirchen erkannt hat. Zu Synode im vergangenen Jahr kam kein Vertreter aus Bundesregierung oder Bundestag. Erst in diesem Jahr besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Jahresempfänge beider großer Kirchen in Berlin.
In den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden begrüßte man zudem den jüngsten Beschluss von Bund und Ländern, in der aufgeregten Debatte über die Flüchtlingspolitik wieder ein Format für das Gespräch zwischen Staat und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu schaffen, wie es das vor der Ampel-Koalition gegeben hatte. Ukraine-Krieg, antisemitische Anfeindungen, Asyldebatte und Streit in der Klimapolitik: Es scheint so, als mache die Krisenzeit die Kirchen wieder zu Partnern der Politik.
Dass die in der Krise etwas zu bieten haben, davon ist die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus überzeugt. „Die Gesellschaft ist nicht nur angewiesen auf unsere diakonischen Dienste, sie braucht nicht nur unsere sozialen Einrichtungen, unsere Kinder und Schulen“, sagte sie in ihrem Bericht an das Kirchenparlament zum Start in dessen viertägigen Beratungen. Die Welt brauche auch „die Kraft, die durch das Lob Gottes ins Leben kommt“, sagte die Theologin. Diese Kraft umschrieb sie mit zwei Worten: Halt und Hoffnung.
Die Botschaft der Kirche in weltliche und verständliche Formeln zu bringen, ist ein Ziel der diesjährigen Tagung der EKD-Synode. „Sprach- und Handlungsfähigkeit im Glauben“ lautet das Schwerpunktthema in diesem Jahr. Die Präses der Synode, Anna-Nicole Heinrich, sagte in ihrem Eröffnungsbericht, es gehe darum, die christliche Botschaft verständlich und authentisch zu gestalten, konkret „unser Reden von Gnade, Rechtfertigung, Versöhnung, Sünde oder Erlösung“.
Das Hauptthema der Synode steht im Zusammenhang mit der für Dienstag erwarteten Vorstellung der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Seit 1972 lässt die evangelische Kirche anhand einer groß angelegten Umfrage untersuchen, wie Kirchenmitglieder und Kirchenferne über Kirche und Religion denken und welche Rolle Spiritualität für ihr Leben spielt. Ein Ergebnis nahm die Ratsvorsitzende Kurschus bereits in ihrem Bericht vorweg und nannte es „ernüchternd“: Das Vertrauen in Institutionen – und damit auch die Kirche – sinke.
Das Kirchenparlament beschäftigt sich in Ulm auch deshalb mit den eigenen Krisen, die in der Vergangenheit Vertrauen gekostet haben oder zu kosten drohen. Dazu gehören die Fälle sexualisierter Gewalt. Am Dienstag wird das sogenannte Beteiligungsforum, in dem zu gleichen Teilen Betroffene und Verantwortliche der Kirche beraten, einen Bericht abgeben. Erst im nächsten Jahr erwartet wird indes die von der EKD in Auftrag gegebene Studie über Ausmaß und Risikofaktoren für Missbrauch in der evangelischen Kirche.