Ehemalige Mitglieder berichteten von einem Gründerkult und seelischem und geistlichen Missbrauch: Jetzt wurde der Gründer der “Familie Mariens” von einem Kirchengericht verurteilt – und auch der Papst greift durch.
Der Mitgründer der geistlichen Gemeinschaft “Familie Mariens”, Gebhard Paul Maria Sigl, wurde von einem Kirchengericht wegen Amtsmissbrauch im Zusammenhang mit geistlichem und psychologischem Missbrauch schuldig gesprochen. Die Gemeinschaft teilte selbst mit, dass das Urteil Mitte September ergangen sei und Mitte Oktober von Papst Franziskus bestätigt wurde. Mit der Bestätigung durch den Papst in spezifischer Form ist das Urteil rechtskräftig und unanfechtbar.
Ehemalige Mitglieder der Gemeinschaft hatten Sigl eine unzulässige Vermischung von Seelsorge und Leitung in der von ihm gegründeten Organisation vorgeworfen. In der Vereinigung habe ein “blinder und bedingungsloser Kult” um den Gründer geherrscht. Die Gemeinschaft selbst äußert sich in der Mitteilung nicht zu den Straftatbeständen, wegen denen Sigl verurteilt wurde.
Der Priester darf für die Dauer von zehn Jahren keinen Kontakt zu Mitgliedern den von ihm gegründeten Vereinigungen haben. Neben der geistlichen Gemeinschaft Familie Mariens hat Sigl das “Werk Jesu des Hohenpriesters” als Vereinigung für die Priester der Bewegung gegründet. Weiter darf er keine priesterlichen Dienste ausüben, keine Ämter in den Verwaltungsorganen der beiden Vereinigungen bekleiden und muss an einem festgelegten Ort wohnen, den ihm die vom Vatikan für die Vereinigung bestellten Verwalter zuweisen.
Der 1949 in Österreich geborene Sigl gründete 1990 die “Familie Mariens” zusammen mit dem slowakischen Weihbischof Paul Hnilica. 1992 weihte Hnilica Sigl und vier weitere Männer im Marienwallfahrtsort Fatima zu Priestern. In der “Familie Mariens” führt Sigl die Verehrung von Maria als “Frau aller Völker” ein. Diese Frömmigkeitsform geht auf angebliche Erscheinungen in Amsterdam zurück. Die zuständigen Bischöfe und Vatikanbehörden haben in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach bekräftigt, dass die Erscheinung nicht kirchlich anerkannt ist. Zuletzt äußerte sich im Juli das vatikanische Glaubensdikasterium ablehnend.
Auf Vorwürfe von ehemaligen Mitgliedern hin ordnete der Vatikan 2021 eine Untersuchung der Gemeinschaft an. Die Apostolische Visitation im Auftrag des Klerusdikasteriums wurde durch den emeritierten Bischof von Bari, Francesco Cacucci, geleitet. Nach Abschluss der Untersuchung wurde die “Familie Mariens” unter Aufsicht gestellt. Mit der Aufsicht wurden der Weihbischof von Rom, Daniele Libanori, und die Ordensfrau Katarina Kristofová als apostolische Kommissare betraut. Sigl wurde entmachtet und erhielt ein Kontaktverbot gegenüber der “Familie Mariens”.
Die Gemeinschaft wurde angewiesen, sich auf einen “Weg der Läuterung” zu begeben. Dazu gehöre “auch eine aufrichtige Konfrontation mit denjenigen innerhalb und außerhalb beider Institute, die mutmaßlich Opfer von geistlichem Missbrauch, Manipulation und dem vom Gründer errichteten Machtsystem waren”, wie es in dem Dekret nach Abschluss der Visitation heißt. Nach eigenen Angaben ist die “Familie Mariens” derzeit in Italien, Deutschland, Österreich, der Schweiz, Frankreich, den Niederlanden, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Russland, Kasachstan, Uruguay und den Vereinigten Staaten vertreten.