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Große Erfolgsgeschichte: 75 Jahre Nierentransplantationen

Es ist eine große Erfolgsgeschichte. Nierentransplantationen gelten heutzutage als Standard-Therapie. Transplantierte überleben zwei Jahrzehnte. Vor 75 Jahren wurde erstmals erfolgreich eine Niere verpflanzt.

“Ihre Nieren liegen uns am Herzen.” Mit diesem – etwas schrägen – Motto werben Deutschlands Nierenärzte um Sympathie und Aufmerksamkeit. In Deutschland lebten rund neun Millionen Menschen mit einer chronischen Nierenkrankheit, heißt es auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Viele von ihnen brauchen eine neue Niere.

Manche Schicksale werden bekannt: 2010 hat der damalige SPD-Fraktionschef im Bundestag und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seiner Frau Elke Büdenbender eine Niere gespendet. Der frühere Fußballprofi von Werder Bremen und Mainz 05, Ivan Klasnic (45), hat schon drei Nierentransplantationen hinter sich. Er treibt weiter Sport und will auch anderen Mut machen, seinem Beispiel zu folgen.

Nierentransplantationen sind eine Erfolgsgeschichte. Auch lebende Menschen können ihre Niere unter bestimmten Voraussetzungen spenden. Und der Bedarf ist groß: 2024 warteten mehr als 6.400 Bundesbürger auf einer Warteliste auf eine Spenderniere.

Nierentransplantationen sind die wohl am häufigsten vorgenommenen Organverpflanzungen weltweit. Ein Jahr nach der Transplantation sind in Deutschland mehr als 90 Prozent der transplantierten Nieren noch funktionsfähig, und nach fünf Jahren sind es immer noch 70 bis 80 Prozent. Die Lebenserwartung mit einer transplantierten Niere kann zehn bis 20 Jahre betragen.

Doch es war ein steiniger Weg bis dahin – erkauft mit immer neuen medizinischen Versuchen und Rückschlägen. Umstritten ist, wer wann die erste erfolgreiche Nierentransplantation von Mensch zu Mensch vornahm. Ein spannendes Kapitel der Medizingeschichte. Die Idee, ein krankes Organ durch ein gesundes zu ersetzen, beschäftigt die Menschheit schon seit Jahrhunderten. So wurde den beiden, um 260 nach Christus lebenden Heiligen und syrischen Ärzten Cosmas und Damian im Mittelalter das Wunder zugeschrieben, ein Bein verpflanzt zu haben. In Wien entdeckte Karl Landsteiner 1900 das menschliche Blutgruppensystem (A-B-0) und ermöglichte damit Bluttransfusionen, eine erste Form der Organtransplantation.

Erste dokumentierte Versuche, Nieren zu transplantieren, datieren auf 1902: Der österreichische Chirurg Emerich Ullmann verpflanzte eine Tierniere in einen Hund – der Eingriff scheiterte, doch die Idee war geboren. Seit den 1930er Jahren begannen Ärzte, auch mit menschlichen Nieren zu experimentieren. Als erste Nierenverpflanzung wird eine Transplantation 1954 in Boston gefeiert: Der Chirurg Joseph Murray transplantierte eine Niere von einem eineiigen Zwilling zum anderen. Weil das Immunsystem des Empfängers die genetisch identische Niere nicht als fremd erkannte, blieb das Organ funktionstüchtig – ein historischer Erfolg. Murray erhielt dafür 1990 den Nobelpreis für Medizin.

Doch wie eigentlich immer in der Geschichte der Medizin fiel diese Operation nicht vom Himmel, sagt der Mainzer Nephrologe Daniel Kraus. “Es scheint so, als sei die allererste richtige Nierentransplantation am Menschen tatsächlich schon am 17. Juni 1950, also vor genau 75 Jahren, durchgeführt worden”, vermutet Kraus unter Berufung auf mehrere internationale Fachzeitschriften. Dem US-amerikanischen Chirurgen Richard H. Lawler in Chicago sei es gelungen, die 49 Jahre alte Patientin Ruth Tucker erfolgreich zu behandeln. Die Nachricht wurde allerdings kaum wahrgenommen.

Die große Hürde blieb jahrzehntelang das Immunsystem: Fremde Organe werden vom Körper als Eindringlinge bekämpft. Erst in den 1960er-Jahren begann die Medizin, Medikamente zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion gezielt einzusetzen. Diese Fortschritte machten es möglich, auch genetisch unterschiedliche Menschen erfolgreich mit Spendernieren zu versorgen. 1962 erfolgte die erste erfolgreiche Transplantation bei genetisch nicht verwandten Patienten und schließlich 1963 die erste Nierentransplantation in der Bundesrepublik in Berlin.

Die Fortschritte warfen neue ethische Fragen auf: Wer darf spenden? Wie wird entschieden, wer ein Organ bekommt? In vielen Ländern entstanden in den 1960er- und 1970er-Jahren erste Transplantationsgesetze, die den Hirntod als Kriterium für Organentnahme definierten und Wartelisten schufen. In Deutschland wurde das Transplantationsgesetz 1997 verabschiedet. Zugleich rückte die Lebendspende in den Fokus – mittlerweile stammt etwa jede dritte Niere weltweit von einem lebenden Spender.

Heute ist die Nierentransplantation eine etablierte medizinische Routine. Allein in Deutschland wurden 2024 rund 2.075 Nieren transplantiert, davon 632 nach einer Lebendorganspende. Die Forschung konzentriert sich angesichts eines großen Mangels an Spendern inzwischen auch auf Alternativen: künstliche Organe, Xenotransplantationen von Tieren und vor allem die Züchtung von Nieren aus Stammzellen. Noch sind das allerdings Visionen.