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Gottes „Größenwahn“

Über den Predigttext zum 17. Sonntag nach Trinitatis: Jesaja 49,1-6

Predigttext
1 Hört mir zu, ihr Bewohner der Inseln! Gebt acht, ihr Völker in der Ferne! Der Herr hat mich in seinen Dienst gerufen, als ich noch im Mutterleib war. Schon im Schoß meiner Mutter hat er mir meinen Namen gegeben. 2 Er hat mir Worte in den Mund gelegt, so scharf wie ein Schwert. Versteckt in seiner Hand, hat er mich bereitgehalten. Wie einen spitzen Pfeil hat er mich in seinem Köcher aufbewahrt. 3 Er sagte zu mir: „Du bist mein Knecht. Du trägst den Namen ,Israel‘. Durch dich will ich zeigen, wie herrlich ich bin.“ 4 Ich aber sagte: „Ich habe mich vergeblich bemüht, für nichts und wieder nichts meine Kraft vertan. Doch der Herr verhilft mir zu meinem Recht, mein Gott wird mich belohnen.“ 5 Ja, der Herr hat mich schon im Mutterleib zu seinem Knecht gemacht. Ich sollte Jakob zu ihm zurückführen und ganz Israel bei ihm versammeln. So wichtig war ich in seinen Augen, mein Gott gab mir die Kraft dazu. 6 Und jetzt sagt er: „Ja, du bist mein Knecht. Du sollst die Stämme Jakobs wieder zusammenbringen und die Überlebenden Israels zurückführen. Aber das ist mir zu wenig: Ich mache dich auch zu einem Licht für die Völker. Bis ans Ende der Erde reicht meine Rettung.“ BasisBibel

Da ist einer, der bemüht sich. Da ist einer, der gibt all seine Kraft. Da ist einer, der kämpft für den Auftrag, den Gott ihm gegeben hat.

Und am Ende war’s vergeblich. Obwohl Gott höchstpersönlich ihn in seinen Dienst gerufen hat, lange vor seiner Zeit. Obwohl Gott ihm treffende Worte in den Mund gelegt und ihn in der Hand gehalten hat, bis seine Zeit reif war. Obwohl Gott ihm Kraft gab.

Und doch: Vergeblich.

Ich kenne dieses „vergeblich“. Ich weiß, wie es ist, sich zu bemühen, Leidenschaft und Energie in etwas zu stecken, Zeit und Kraft zu investieren. Und am Ende ist es vergeblich. Weil es zu wenige Menschen erreicht hat. Weil Worte kein Gehör gefunden haben. Weil doch nichts Neues, nichts Großes entstanden ist.

Für nichts und wieder nichts

Der Knecht hat es schwer mit seinem Auftrag. Und so zieht er ein ehrliches Fazit: Alles vergeblich. Kraft verschwendet für nichts und wieder nichts. Auftrag: Gescheitert?

Doch so schnell gibt der Knecht nicht auf. Auch wenn er mit dem Ausführen des göttlichen Auftrags nicht vorangekommen ist, auch wenn alle Mühen vergeblich waren, lässt er sich nicht entmutigen.

Gott war es schließlich, der ihn in seinen Dienst gerufen und ihn bereit gemacht hat. Gott ist an seiner Seite. Das war er schon, noch ehe der Knecht seinen Auftrag überhaupt kannte. An Gott hält der Knecht fest. Ganz unabhängig vom Auftragsstatus.

Nicht nur der Knecht, auch Gott reagiert auf die vorgelegte Bilanz. Und so wird nachjustiert – genauer gesagt nachgelegt: „Das, wozu ich dich berufen habe, das ist mir noch zu wenig. Ich mache dich zum Licht für die Völker.“

„Größenwahnsinnig“, denke ich im ersten Moment. Das „Wenige“ hat doch schon nicht geklappt. Und jetzt wird noch mehr Verantwortung und Last auf die Schultern des armen Knechts gelegt. Doch dann gleitet mein Blick weg vom Knecht, hin zu den Aufträgen, die Gott formuliert.

Und dann wird der Auftrag noch größer

Am Anfang ist noch überschaubar, um wen es geht: Um die Stämme Jakobs und die Überlebenden Israels. Sie soll der Knecht einsammeln und zurückbringen in die Heimat, die mit der Eroberung Jerusalems durch die Babylonier verloren gegangen war. Dieser Auftrag wird nach dem Statusbericht des Knechts ausgeweitet: „Licht für die Völker“ ist dieser von nun an, denn Gottes Rettung reicht bis ans Ende der Erde.

Gott überwindet Grenzen. Zwischen Ländern und Völkern. Zwischen Altersgruppen und sozialen Schichten. Gottes Licht macht nicht Halt vor menschengemachten Mauern. Seine Wärme scheint mitten durch die kalten, trennenden Steine hindurch. Davon erzählt dieser Sonntag in seinen Texten und Liedern. Und spricht mir direkt ins Herz.

Gottes „Größenwahn“ trifft meine Sehnsucht: Über Grenzen hinweg miteinander unterwegs zu sein. Ja mehr noch: Grenzen abzubauen und gemeinsam Gottes Licht in unsere Welt zu tragen. Das verlangt viel von uns: Wir müssen Menschen zuhören. Sie ernst nehmen, mit ihren Gefühlen, Verletzungen, Ideen und Träumen. Wir müssen uns, unser Reden, unsere Strukturen verändern, um weniger verletzend und ausgrenzend zu sein.

Daran scheitern wir. Immer wieder. Ich wünsche mir und uns, dass wir unser Scheitern wahrnehmen und auch beklagen, uns davon aber nie völlig entmutigen lassen. Noch mehr aber wünsche ich mir und uns, dass wir uns regelmäßig mitreißen lassen vom großdenkenden und grenzenüberwindenden Gott. Amen.