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Gesundheitskioske: Lotsen verbessern ambulante Versorgung

In Solingen gibt es seit fast 15 Monaten an der Mummstraße das „Wunder von der Wupper“. So nennt die Vorständin der Bergischen Krankenkasse, Sabine Stamm, den dortigen Gesundheitskiosk. Dessen Team hat bislang in 1.800 Fällen in gesundheitlichen und sozialen Fragen unterstützt. „Hier gelingt es, Barrieren abzubauen und Menschen dort abzuholen, wo sie wirklich Hilfe brauchen“, sagt Stamm.

Eigentlich sollten nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) 1.000 Kioske als Teil der Regelversorgung entstehen, um die medizinische Versorgung und die Prävention zu verbessern. Doch dazu kommt es nicht, weil der Plan aus dem „Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz“ gestrichen wurde.

Gesundheitskioske erfüllen laut Sozialarbeiter Johannes Lauxen eine wichtige Lotsenfunktion, die über das rein Medizinische hinausgeht. Sie vernetzten Hilfsangebote und vermittelten Menschen an Arztpraxen und Kliniken sowie in psychosoziale Beratungen oder an Pflegestützpunkte. „Damit tragen sie zur Verhinderung schwererer Krankheitsverläufe bei“, sagt der Sozialarbeiter von der Bundesarbeitsgemeinschaft Anonyme Behandlungsschein- und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherungsschutz.

Wie viele diese Anlaufstellen es bundesweit gibt, ist unklar. Die AOK Rheinland/Hamburg unterhält mit unterschiedlichen Partnern und mithilfe der Kommunen neben dem Solinger Kiosk sechs weitere in Hamburg, Essen, Aachen und Köln. Betreiber in Solingen ist das Ärztenetz solimed. Das Geld dazu kommt von der AOK Rheinland/Hamburg. Finanziell beteiligt sind zudem die Bergische Krankenkasse und die Stadt Solingen.

In Hamburg, wo in Billstedt/Horn 2017 ein Gesundheitskiosk öffnete, kam nach 18 Monaten Laufzeit eine Evaluation des „Hamburg Center for Health Economics“ zu dem Schluss: „Nicht nur die Nutzerinnen und Nutzer sind mit den Angeboten sehr zufrieden, auch die am Projekt teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte berichten von einer Arbeitserleichterung.“ Und der Zugang zur ambulanten Versorgung verbessere sich.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Nordrhein-Westfalen wird es nach der Bundestagswahl nicht zur Ausweitung des Angebots kommen. „Gerade die vom Bundesministerium für Gesundheit ursprünglich geplante starke medizinische Ausrichtung der Kioske wird nicht für sinnvoll erachtet“, sagt ein Sprecher des Ministeriums dem Evangelischen Pressedienst (epd). Eine „Arztpraxis light“ stelle keine sinnvolle Versorgungsstruktur dar. Deshalb unterschieden sich die Einrichtungen in NRW deutlich von den Planungen Lauterbachs. Man verfolge „einen ganzheitlichen Ansatz im Sozialraum“. „Der Gesundheitskiosk fungiert als Anlaufstelle und Lotse für Klienten mit multiplen Problemlagen, die nicht nur den Gesundheitsbereich betreffen“, erklärt das Ministerium.

In Wiesbaden steht die Eröffnung eines ersten Gesundheitskiosks bevor. „Der wird unter der Trägerschaft des Gesundheitsamtes laufen und von Mitarbeiterinnen des Amtes besetzt sein“, sagt der Gesundheitsreferent der Stadt, Thomas Völker, dem epd. Das Konzept werde offen gestaltet, sodass dort beispielsweise auch Raum für Selbsthilfeangebote sein werde.

In der Landeshauptstadt gab es ursprünglich den Plan, drei dieser Anlaufstellen zu eröffnen – weil Minister Lauterbach für je 80.000 Einwohnerinnen und Einwohner einen Gesundheitskiosk aus Bundesmitteln finanzieren wollte. Dann kam alles anders. Doch die Südhessen wollen ihre Planungen nutzen, um wenigstens einen Kiosk einzurichten. Im Wiesbadener Westcenter wurden Räume angemietet: „Aktuell findet der Umbau statt, die Eröffnung erwarten wir für das zweite Quartal 2025“, erklärt Völker. Er bedauert, dass es dafür keine Förderung des Bundes gibt: „In Wiesbaden funktioniert das nur, weil wir die Personalkosten über das Gesundheitsamt tragen können, sonst hätten wir das nicht umsetzen können.“

Auch Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, sagt: „Wir werden Gesundheitskioske zukunftssicher nur weiter betreiben können, wenn die Angebote angemessen gefördert werden.“ Seine Kasse schätzt den bundesweiten Bedarf auf 50 bis 100 Einrichtungen.