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Geschenk des Himmels

Schneeschippen, Staus, Unfälle. Doch der Schnee hat auch eine andere Wirkung: Er zaubert den Menschen ein Lächeln ins Gesicht.

Der Himmel öffnet sich. Und Chaos fällt aufs Land. Stundenlang mussten Hunderte von Autofahrerinnen und -fahrer am Montag auf der A2 zwischen Dortmund und Bielefeld in ihren Autos ausharren und frieren, weil Schnee und Glätte den Verkehr lahmgelegt hatten. LKWs rutschen. Ausfahrten sind dicht. Und auch jenseits der großen Straßen geht oft nichts mehr.

Davon konnte auch Axel Niebuhr, Hausmeister beim Evangelischen Presseverband für Westfalen und Lippe, ein Lied singen. Stunde um Stunde hatte er sich am Montag mit Kehrmaschine und Schaufel gequält, um Gehwege und Parkplätze am Evangelischen Medienhaus in Bielefeld freizuräumen. Bei Minusgraden fror sein Bart ein. Und doch: Am Ende war alles wieder zugeschneit.

Wenn der erste Schnee fällt, führt er meist Mühe, Last und Plage im Gepäck. Der Verkehr droht zusammenzubrechen. Die Post stellt zeitweise ihre Lieferungen ein. Und auch UK kann wohl, Gott sei’s geklagt, an machen Orten nicht pünktlich zugestellt werden.

Und dennoch, da gibt es noch eine andere Seite an himmlischen Niederschlag: Schnee kann Menschen verzaubern.

Das kalte Weiß beflügelt die Lebensgeister

Wenn die Flocken in der Luft schweben, schauen Augen nach oben. Wie ein Geschenk des Himmels zaubert das Schneeweiß eine helle, lichte Stimmung in die Welt und ein Lächeln auf die Gesichter. Gerade nach den dunklen und trüben Tagen, die in unseren Gegenden meist die ersten Wochen des Winters bestimmen, beflügelt das die Lebensgeister.

Die meisten Menschen zieht es unweigerlich nach draußen. Kinder wollen Schlitten fahren, Erwachsene auf die Ski. Hunde toben durch weiße Hügel. Wildfremde Spaziergänger lächeln sich zu oder kommen ins Gespräch über die Faszination dieses Wetters. Es ist etwas am Schnee, das die Seele tanzen lässt.

Das mag viele Gründe haben. Zum einen das Weiß. Eine unberührte Schneelandschaft ist wie ein Sinnbild für Reinheit und Unschuld. Wenn die Schneekristalle in der Sonne glitzern, scheint es, als ob der Mensch in Millionen von Edelsteinen eintauchen würde.

Dann diese unnachahmliche Ruhe. Weil Schnee in seinen Zwischenräumen viel Luft festhält, wirkt er wie ein allumfassender Schallteppich. Auch die sanfte Fallgeschwindigkeit der Flocken hat ihren Anteil an der besänftigenden Wirkung: Schnee fällt immer mit einer Geschwindigkeit von etwa vier Stundenkilometern vom Himmel. Das ist die Geschwindigkeit eines gemütlichen Spazierganges beim Menschen. Zum Vergleich: Ein mittlerer Regen fällt mit 20 Stundenkilometern; das ist die Geschwindigkeit des Weltrekords beim Marathonlauf.

Gerade der erste Schnee hat diese bezaubernde Kraft. Das sieht man, wenn Kleinkinder zum ersten Mal mit ihm in Kontakt kommen – und nur noch staunen. Auch bei Tierbabys ist das zu beobachten. Und wenn dann im Januar oder Februar der erste Schnee des Jahres fällt, ist es wieder ein wenig so, wie beim allerersten Mal.

Einmal hatten Bekannte eine Austausch-Studentin aus Indien bei sich zu Gast. Als gebildete Frau wusste sie, dass es Schnee gab. Aber sie hatte ihn noch nie erlebt. Nun, in Deutschland, auf dem Weihnachtsmarkt der Kirchengemeinde, war es soweit: Die Flocken fielen. Und der jungen Frau kamen die Tränen. „Das es so schön ist, das hätte ich nicht gedacht“, sagte sie.

Die weiße Weihnacht ist die große Ausnahme

Hierzulande verbinden die Menschen vor allem Weihnachten mit Schnee. Und das, obwohl selbst bei uns statistisch gesehen weiße Weihnacht die große Ausnahme ist. Noch absurder scheint das im Blick auf den Ursprungsort von Weihnachten: Im Heiligen Land, so lernten wir es bereits im Konfirmandenunterricht, fällt so gut wie nie Schnee. Aber es gibt eben für alles Ausnahmen: Als ich vor vielen Jahren das erste Mal zur Weihnachtszeit in Jerusalem war und aus dem Fenster schaute, traute ich meinen Augen nicht: Schnee fiel. Die Leute stürzten ausgelassen auf die Straße und bewarfen einander mit Schneebällen. Israelische Soldaten waren dabei, palästinensische Händler. Für einen Augenblick waren die Konflikte und der Hass vergessen.

Apropos Schneeballschlacht: Sie scheint den Menschen im Gemüt zu stecken. Der vermutlich größte Schneespaß dieser Art ging am 29. Januar 1863 in Fredericksburg in Virginia über die Bühne. 9000 Soldaten der konföderierten Armee tollten ausgelassen durch den ersten Schnee des Jahres. Und flüchteten so ein paar Stunden lang vor dem Wahnsinn des amerikanischen Bürgerkriegs.

Sicher, wenn der Schnee dann länger liegen bleibt, schwindet auch der Zauber. Tauwetter macht das Weiß schmuddelig. Matsch weicht die Schuhe auf. Und spätestens im Frühjahr, wenn die Temperaturen wieder steigen, das Grün der Natur erwacht und die Vögel zurückkehren, ist die ehemals weiße Pracht dann nur noch eines: Schnee von gestern.