Im Herbst 2017 konnten die weiblichen Beschäftigten der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen erstmals Frauenbeauftragte wählen. Für die Frauen ein wichtiges Signal, dass sie ernst genommen und Frauenrechte gestärkt werden. Das Bundesteilhabegesetz hat es möglich gemacht.
Keine Frage, Frauenrechte zu schützen und Frauen zu stärken, liegen Astrid Tremblau, Svenja Müller und Martina Hauser am Herzen. Dennoch haben sie länger überlegt, ob sie sich um das Amt einer Frauenbeauftragten im Frauenheim Wengern in Wetter bewerben sollen. Immerhin handelt es sich um einen neuen und verantwortungsvollen Job, für den sie vier Jahre freigestellt werden.
Dafür sei viel Energie und Tatkraft nötig, meint Astrid Tremblau, die unter Depressionen leidet. „Manchmal fühle ich mich traurig und habe das Gefühl, nicht gemocht zu werden“, gibt sie zu. Dass ihr so viele Beschäftigte dieses Engagement zugetraut haben, hat sie ermutigt und gefreut.
In der Gruppe gelernt, Nein und Stopp zu sagen
Seit Oktober ist Astrid Tremblau nun Frauenbeauftragte für den Werkstattbereich und Svenja Müller ihre Stellvertreterin. Als Besonderheit gibt es in der Einrichtung der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen zusätzlich auch eine Frauenbeauftragte für den Wohnbereich – Martina Hauser. Alle drei sind angetreten, weil sie Frauen mit Behinderung stärken und besser vor Gewalt schützen wollen.
Schon seit Jahren ist das bundesweit ein großes Thema in allen Werkstätten und Wohnheimen. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums werden Frauen mit Behinderung zwei- bis dreimal häufiger Opfer von Gewalt als andere Frauen.
Bei Belästigungen, Mobbing, Missbrauch und anderen Formen der Gewalt oder Diskriminierung können sich die weiblichen Werkstatt-Beschäftigten nun an ihre für vier Jahre gewählten Frauenbeauftragten wenden. „Ich habe Gewalt auch in meiner Familie erlebt“, erzählt Martina Hauser. Sie hat gemeinsam mit ihrer Tochter ihren damaligen Mann wegen körperlicher Übergriffe verlassen.
In der Gruppe „Mutig und stark“ des Frauenheims Wengern habe sie erstmals gelernt, Nein und Stopp zu sagen, berichtet die Frauenbeauftragte. Ohne die Frauengruppe, die von Sozialarbeiterin Sandra Förster begleitet wird, wäre sie vermutlich heute nicht so selbstbewusst, meint Martina Hauser. Aus der Gruppe ist auch ein Frauenchor entstanden, der Anti-Gewalt-Lieder auf Deutsch und Englisch einübt und vorträgt. „Die Musik befreit richtig“, betont Astrid Tremblau, die diesem Chor angehört.
Die Frauengruppe „Mutig und stark“ wurde von Anfang an von der GESINE-Frauenberatung EN begleitet. Das Netzwerk wurde in der Anti-Gewalt-Arbeit des Frauenheims neben der Arbeitsgruppe der Beschäftigten 2014 als Gruppe von betroffenen Frauen gegründet.
Sozialarbeiterin Sandra Förster hat die Frauen ermutigt, sich im Oktober des Vorjahres um das neue Amt zu bewerben. In allen bundesweit rund 680 Werkstätten mussten im Herbst Frauenbeauftragte gewählt werden. So schreibt es das neue Bundesteilhabegesetz vor. Jetzt unterstützt Förster die Frauenbeauftragten als Vertrauensperson. Etwa, wenn es darum geht, Protokolle zu schreiben, an Beiräten teilzunehmen und fit im Umgang mit dem PC zu werden. Schließlich gehört es zu den Aufgaben der Frauenbeauftragten, sich bei den monatlichen Treffen mit der Werkstatt-Leitung zu überlegen, ob etwas geändert werden muss.
In der Werkstatt des Frauenheims Wengern mit Betriebsstätten in Wetter-Wengern und Wetter-Schöntal mit insgesamt 160 Arbeitsplätzen sind zu 75 Prozent Frauen beschäftigt. Dies ist ungewöhnlich, sind bundesweit die mehr als 125 000 Frauen mit Behinderungen in den Werkstätten doch oft eine Minderheit.