Die dunkle Holzvertäfelung, die in Stein gefassten, riesigen Türen, die hohe Decke – der Saal 600 des Nürnberger Justizzentrums ist gigantisch und bedrückend zugleich. Zwischen den Anklage- und Richterbänken stehen Informationstafeln auf Rollen. Sie stören nicht nur, wenn hier immer noch regelmäßig Kapitalverbrechen verhandelt werden und sie dann weichen müssen. Die bedruckten Wände, sie irritieren den Betrachter, der jenen Saal sofort wiedererkennt, in dem seit dem 20. November vor 70 Jahren die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse stattfanden.
In zwei Monaten bauten die Amerikaner den Saal um
Selbst die Aufzugtüre links an der Wand ist noch vorhanden. Reichsmarschall Hermann Göring, Außenminister Joachim von Ribbentrop und Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter, waren die ersten Angeklagten, die zu Beginn des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher durch diese Tür den Saal betraten, der dann doch ganz anders aussah als heute, wie Henriette Claussen erklärt. Gerade einmal zwei Monate hätten die Amerikaner Zeit gehabt, den größten Saal im Nürnberger Justizzentrum für den Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher umzubauen, berichtet die Leiterin des Memoriums Nürnberger Prozesse, das die Geschichte der Prozesse museal aufgearbeitet hat.
Deutlich größer sei der Saal gewesen, als er sich heute den Besuchern präsentiert, erzählt Claussen anhand eines Bildes auf einer Stellwand. Eine eigene Empore mit Presseplätzen wurde eingezogen. Dort saß dann etwa der spätere Bundeskanzler Willy Brandt, der für skandinavische Zeitungen akkreditiert war. Oder der Schriftsteller Erich Kästner, der als einer von fünf Journalisten für deutsche Zeitungen über den Prozess gegen 22 Angeklagte berichtete. Fast ein Jahr später am 1. Oktober 1946 endete er mit zwölf Todesurteilen, drei lebenslänglichen und vier weiteren Haftstrafen sowie drei Freisprüchen.
Vor allem letztere beschreiben das Wagnis, das die Alliierten mit dem Verfahren eingegangen sind, wie die Memoriums-Leiterin erklärt. Doch letztendlich ging es darum, nach rechtsstaatlichen Maßstäben zu Urteilen zu gelangen, auch wenn der Prozess dann auch mit einem Freispruch enden kann. Davon war zumindest Robert H. Jackson überzeugt, der amerikanische Chefankläger und „Konstrukteur der Prozesse“, wie Claussen ihn nennt.
Beweisführung erfolgte vor allem über Akten
Hauptpunkt der Anklage, die am 18. Oktober 1945 in Berlin übergeben wurde, war das Führen eines Angriffskrieges – ein Novum und ein Verdienst Jacksons. Er wollte, dass ein solcher als völkerrechtswidrig eingestuft werden sollte – eine wichtige Grundlage für das spätere Jugoslawien-Tribunal oder den Internationalen Strafgerichtshof. Die Nürnberger Prozesse gelten als Geburtsstunde des modernen Völkerstrafrechts, deren Dimension Jackson in einer Rede am zweiten Prozesstag deutlich machte: „Wir dürfen niemals vergessen, dass nach dem gleichen Maß, mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der Geschichte gemessen werden.“
Die Beweisführung in den Prozessen erfolgte vor allem über Akten. Lediglich 139 Zeugen wurden in der Verhandlung gehört, die meisten hatte die Verteidigung benannt. Es sind dann auch die schier endlosen Papiermengen, die die museale Aufbereitung des Ereignisses so schwierig machten, gleichzeitig aber der etwa 750 Quadratmeter umfassenden Schau ihren Charakter geben. Teils gekippte und schräg versetzte Ausstellungswände sind mit weißem Stoff überspannt, der von hinten beleuchtet wird.
An all die Papiere soll diese Gestaltung erinnern, betont Claussen. Auf den Wänden aufgedruckt sind viele Originaldokumente, der Audioguide liefert die Übersetzung für die überwiegend ausländischen Gäste des Memoriums. Dazwischen stehen exponiert zwei der Anklagebänke, Originalstücke aus der damaligen Zeit.
Dabei begnügt sich die Schau nahezu komplett mit den Prozessen selbst. Lediglich kurz wird die Vorgeschichte angerissen, inklusive der Leipziger Prozesse von 1922, in denen deutsche Richter mehr schlecht als recht nach internationalem Recht deutsche Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg aburteilen sollten.
Auch die Nachfolgeprozesse in Nürnberg, die etwa Ärzte und Industrielle auf die Anklagebank brachten, werden nur kurz abgehandelt. Und doch wird klar, welche Bedeutung das Geschehen in Nürnberg in den Jahren 1945 bis 1949 hatte: „Das Herz des Nationalsozialismus wurde offengelegt“, sagt Claussen. Denn dank der Prozesse gegen Vertreter der Funktionseliten sei das Systematische deutlich geworden, so die Historikerin.
Die Akten von damals, deren Originale in den USA aufbewahrt werden, dokumentierten diesen „massiven Beitrag zur Aufarbeitung“, der jedoch dann mit Aufkommen des Kalten Krieges nahezu komplett zum Erliegen gekommen sei, betont Henriette Claussen.
Auch auf den Prozess gegen Adolf Eichmann und die Ausschwitz-Prozesse in Frankfurt geht die Schau kurz ein. Erst in diesen kam der Holocaust zur Anklage und nicht schon in Nürnberg, wie die Memoriums-Leiterin erzählt. 1945 fehlte ein zentrales Dokument, das Protokoll der Wannsee-Konferenz, auf der die systematische Judenvernichtung beschlossen wurde. Erst im Frühjahr 1947 wurde es gefunden.
Möglicherweise hat der Saal bald ausgedient
Mehr als 350 000 Besucher haben seit der Eröffnung vor fünf Jahren das Memorium auf dem Dachboden des Justizzentrums besucht. Den Saal aber konnten sie nur betreten, wenn keine Verhandlung stattfand. Eine Tatsache, die sich jedoch ändern könnte, sagt Claussen. Derzeit wird in Nürnberg ein neues Justizzentrum gebaut. Sollte es fertig sein, könnte der Saal 600 als aktiver Gerichtssaal ausgedient haben.
Die Richter selbst schätzen ihn ohnehin nicht sehr, wie Claussen erzählt, der erhöhten Sitzposition und der großen Distanz zum Angeklagten wegen. Immerhin, es ist der einzige Saal mit einer Klimaanlage – eine Errungenschaft der Nürnberger Prozesse. Die Amerikaner hatten 1945 eine Lüftung eingebaut.