Artikel teilen:

Fünf Jahre nach Coronabeginn: Händeschütteln ist wieder normal

In Corona-Zeiten war das Händeschütteln als Risikofaktor in Verruf geraten. Doch jetzt ist es wieder völlig normal, sagt ein Experte für gutes Benehmen. Neinsagen ist allerdings auch erlaubt.

Keine Umarmung, kein Handschlag, dafür mehr Abstand: Die vor fünf Jahren begonnene Corona-Pandemie hat sich zwischenzeitlich stark auf zwischenmenschliche Beziehungen ausgewirkt. Inzwischen aber ist Händeschütteln wieder völlig normal, glaubt der Vorstandsvorsitzende der Deutschen-Knigge-Gesellschaft, Clemens Graf von Hoyos. Zugleich werde es aber nicht mehr als ehrverletzend angesehen, wenn man den Handschlag ablehne, sagt der Experte für gutes Benehmen im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

KNA: Graf von Hoyos, ist bei den menschlichen Umgangsformen nach der Pandemie wieder Normalität eingekehrt? Ist es wieder üblich, sich zur Begrüßung oder zum Abschied die Hand zu geben?Hoyos: Nach meinen Beobachtungen ist es für 90 Prozent der Bundesbürger wieder völlig üblich, sich die Hände zu schütteln oder sich im privaten Bereich zur Begrüßung oder zum Abschied zu umarmen. Alles ist wieder auf Normal gestellt. Dass das Händeschütteln zurückkommt, hat sich auch schon während der Pandemie gezeigt, als die Corona-Sensibilität zwischenzeitlich geringer wurde. Diese Geste ist 2.000 Jahre alt. Vor mehr als 200 Jahren soll sie der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich über alle Schichten hinweg salonfähig gemacht haben. Eine solche, tief verwurzelte Geste lässt sich nicht einfach durch zwei Jahre Pandemie abschalten.KNA: Dennoch zögern immer noch manche Menschen…Hoyos: Das Bewusstsein für Hygiene ist sicher gewachsen. Es wird ja auch glücklicherweise respektiert, wenn jemand mit Maske in der Bahn sitzt oder zur Arbeit geht. Viel mehr Menschen sind sich bewusst, dass durchs Händeschütteln Krankheiten übertragen werden können. Wir sind sensibler und zugleich selbstbewusster geworden: Es ist mittlerweile durchaus akzeptiert, eine ausgestreckte Hand nicht zu ergreifen. Das ist keine Beleidigung oder Ehrverletzung mehr.

KNA: Und andere Gesten?

Hoyos: Die Bandbreite der üblichen Begrüßungsformen ist gewachsen. Auch alternative Gesten wie Hand aufs Herz oder ein angedeutetes Nicken sind akzeptierte Umgangsformen. Diese Gesten sind natürlich sehr situationsabhängig. Ich muss immer überlegen, wo ich mich gerade befinde: Handelt es sich um eine berufliche, private oder eine Mischsituation? Habe ich es mit einer anderen Kultur zu tun? Wichtig ist es, Wertschätzung und Rücksichtnahme zu zeigen. Zum Glück haben sich Gesten wie das Begrüßen mit den Füßen oder den Ellenbogen oder der Fist-Bumb (vulgo auch Ghetto-Faust) nicht durchgesetzt. Das wirkte ja aufgesetzt, clownesk oder leicht aggressiv.

KNA: Wir leben – zumindest gefühlt – in einer Zeit der Multi-Krisen. Wirkt sich das aus Ihrer Sicht auf das menschliche Miteinander aus?Hoyos: Sowohl bei uns in Deutschland, als auch in den USA gibt es einen Boom bei Kursen, in denen man Etikette und gute Umgangsformen lernen kann. Die Menschen sehnen sich nach Anstand und gutem Benehmen…KNA: … trotz Trump und trotz der rüden Art, mit der auch bei uns andere Menschen in den Sozialen Netzwerken übelst bedroht und beschimpft werden?Hoyos: Trotz oder vielleicht auch wegen Trump. Es stimmt, dass wir derzeit in einem Krisenmodus leben. Die schlechten Nachrichten und die üblen Beschimpfungen verbreiten sich schneller und breiter, gerade durch die sozialen Netzwerke. Dennoch glaube ich, dass die große Mehrheit der Menschen sich nach anderen Umgangsformen sehnt. Es gibt eine Gegenbewegung. Vielleicht ist diese Mehrheit nur viel zu ruhig und zurückhaltend, um aufzubegehren und ihre Wünsche zu formulieren.

KNA: Warum, glauben Sie, sehnen sich die Menschen nach guten Umgangsformen und Etikette?

Hoyos: Umgangsformen werden wichtiger, weil Wertschätzung und Respekt wichtiger werden. Gesten wie das Händeschütteln oder Kleidungsformen wie eine Krawatte sind natürlich nur Nebensachen und Äußerlichkeiten. Eine Kultur des Miteinanders fängt im Kopf an: Wir sollen uns so verhalten, dass wir selber froh sein können und unsere Mitmenschen froh werden, so hat es Adolph Freiherr Knigge schon Ende des 18. Jahrhunderts formuliert. All diese Verhaltens- und Benimmregeln sollten eine Hilfe sein, damit wir ganz natürlich und selbstverständlich miteinander umgehen können.

KNA: Und warum werden diese Umgangsformen aus Ihrer Sicht heutzutage wichtiger?

Hoyos: Wenn man auf die vergangenen Jahrzehnte schaut, gab es immer ein Auf und Ab: Mal wurden strengere Umgangsformen gefordert, mal das genaue Gegenteil. Lockerheit und Lässigkeit waren gefragt. Derzeit nimmt die Bedeutung guter Umgangsformen wieder zu, weil sie einen Kontrapunkt zum Krisengefühl vieler Menschen darstellen. Auch in Unternehmen werden soft skills in Zeiten des Fachkräftemangels und der Suche nach jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wichtiger. Arbeitgeber werden Fachkräfte und Talente nur halten können, wenn das Betriebsklima stimmt. Es gibt Schätzungen, nach denen zehn Prozent der Arbeitnehmer, die kündigen, das tun, weil sie sich in ihrem Betrieb menschlich nicht wohlfühlen.