Kein Gefängnis für einen früheren Maristenbruder und Internatsleiter: Das Landgericht Memmingen hat den 64-Jährigen vom Vorwurf des schweren sexuellen Kindesmissbrauchs freigesprochen. Zu Ende ist die Sache damit nicht.
Der ehemalige Leiter eines katholischen Internats in Mindelheim im Allgäu muss nicht in Haft. Das hat am Montag das Landgericht Memmingen entschieden. Das Gericht sah es in einem Berufungsprozess als nicht beweisbar an, dass der heute 64 Jahre alte frühere Maristen-Ordensbruder vor rund 20 Jahren einen damals 15-Jährigen schwer sexuell missbraucht haben soll. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von drei Jahren und zehn Monaten gefordert, die Verteidigung einen Freispruch. Der Nebenkläger-Anwalt kündigte Revision an.
In drei vorherigen Prozessen war der zwischenzeitlich von seinem Orden ausgeschlossene Ex-Chef des Maristenkollegs jeweils mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Zuletzt hatte das Amtsgericht Memmingen den Mann im Januar 2023 wegen sexueller Nötigung und sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen zu einem Jahr und acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Vom Vorwurf des schweren sexuellen Kindesmissbrauchs hatte es ihn freigesprochen. Dieses Urteil wurde nun vom Landgericht bestätigt.
Das Amtsgericht hatte sich unter anderem auf ein psychologisches Gutachten gestützt. Demzufolge könnten den Vorwürfen des schweren sexuellen Kindesmissbrauchs, die unter anderem auf Beischlaf lauteten, Scheinerinnerungen des Hauptbelastungszeugen zugrundeliegen.
Daraufhin waren Staatsanwaltschaft und Nebenklage, also der Anwalt des heute 37 Jahre alten Hauptbelastungszeugen, in Berufung gegangen. Daher war es zum jetzigen Berufungsprozess vor dem Landgericht gekommen. In diesem sagte der 37-Jährige erstmals persönlich im Gerichtssaal aus.
Der Richter erklärte nun, im Prozess sei “großes Leid” geschildert worden, nicht nur vom Hauptbelastungszeugen und von dessen Familie, sondern auch von weiteren Zeugen. Doch auch, wenn der ehemalige Internatsleiter sich in anderen Fällen zweifelsfrei erhebliche Verfehlungen habe zuschulden kommen lassen, müsse man sich mit dem aktuellen Fall vorurteilsfrei befassen. Und in diesem sei ein anderes Urteil als ein Freispruch nicht möglich gewesen. Denn es gebe schlicht keine Beweise für die Anschuldigungen des Hauptbelastungszeugen.
Darüber hinaus machte der Richter “gewisse Anhaltspunkte für Zweifel an der Plausibilität” der Ausführungen des Hauptbelastungszeugen geltend. Manche Schilderungen passten zeitlich nicht zusammen, seien lückig und widersprüchlich. So habe er einer Gutachterin gegenüber von Verletzungen am Anus durch sexuelle Handlungen des Angeklagten berichtet. Vor Gericht habe er diese Vorwürfe trotz mehrfacher Nachfrage nicht wiederholt.
Deswegen habe er “erhebliche Zweifel” an der Aussage des Hauptbelastungszeugen, sagte der Richter. Sie sei nicht glaubhaft und nicht belastbar. “Darauf kann man kein Urteil stützen.” Auf das psychologische Gutachten komme es da gar nicht mehr an.
Zur Frage der Bewährung für den anderen Teil des nun bestätigten Amtsgerichts-Urteils erklärte der Richter: Das verurteilte Geschehen liege lange zurück, der Angeklagte sei seither nicht mehr auffällig geworden, eine therapeutische Aufarbeitung sei gegeben. Dass sich Betroffene eine Vollzugsstrafe wünschten, sei aus Genugtuungsgründen nachvollziehbar. Dieses Maß dürfe das Gericht aber nicht anlegen.
Auf die Gerichtsentscheidung folgten unmittelbar Missfallensbekundungen. Eine Zuschauerin verließ vorzeitig den Gerichtssaal und sagte dabei, sie müsse sich erbrechen. Nach Verhandlungsende rief eine weitere Frau: “Das ist ein Skandal!”
Der ehemalige Maristenbruder hatte das Internat bis 2007 insgesamt 20 Jahre geleitet. Bereits 2008 und 2011 hatte er wegen sexuellen Missbrauchs von Schülern Bewährungsstrafen erhalten. Das Internat wurde 2014 geschlossen. Der Schulbetrieb am Maristenkolleg Mindelheim (Gymnasium und Realschule) wird seither vom Schulwerk der Diözese Augsburg fortgeführt.