Was uns heute noch so fasziniert an der Beziehung des heiligen Franziskus zu Gott, ist ihre Unbefangenheit und Unmittelbarkeit. Da ist alles Freude, Begeisterung, Nähe, da ist kein Platz für langweilige Frömmelei oder hochgestochene Theorie. Temperament und Leidenschaft statt formelhafter Riten und trockener Pflichten – und eine ungestüme Liebe zur Schöpfung und zu dem, der sie geschaffen hat.
Seine Spuren findet Franziskus überall: in den Menschen, in allen Lebewesen, sogar in den unbelebten Dingen. „Er frohlockte in allen Werken über die Hände des Herrn“, schwärmt sein erster Biograf Thomas von Celano (1200–1260), „und durch das, was sich seinem Auge an Lieblichem bot, schaute er hindurch auf den lebenspendenden Urgrund der Dinge. Im Schönen erkannte er den Schönsten selbst.“ Franziskus’ Glaube war ein sinnenhafter, weltzugewandter – sonst wäre der Arme von Assisi kaum der Erfinder der Weihnachtskrippe geworden.
Bühnenreife Spiele als Predigt
Immer wieder, das ist gut bezeugt, inszenierte Franziskus bühnenreife Spiele, um zu verdeutlichen, was er predigte. Ein solches „Spiel“ sollte auch die Weihnachtsfeier des Jahres 1223 werden, die er in einer Felsgrotte bei Greccio an den Hängen der Sabiner Berge vorbereitete. „Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Bethlehem geboren wurde“, vertraute er einem guten Freund an, „und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, so greifbar wie möglich mit leiblichen Augen schauen, wie es in eine Krippe gelegt wurde, an der Ochs und Esel standen, und wie man es auf Heu bettete.“

Als die Heilige Nacht gekommen war, pilgerten die Leute aus der Umgebung und die Brüder aus mehreren Franziskaner-Niederlassungen zu der versteckten Höhle, Fackeln und Kerzen tragend, „um jene Nacht zu erleuchten, die mit funkelnden Sternen alle Tage und Jahre erhellt hat“ (Thomas von Celano). Eine Krippe – eine richtige, ein Futtertrog für Tiere – war mit Heu zurechtgemacht worden, Ochs und Esel standen dabei, durch den Wald schollen die Stimmen der singenden Brüder.
Bethlehem erstand neu
Während ein Priester über der armseligen Krippe ein festliches Amt feierte, sang Franziskus das Evangelium und predigte den Umstehenden „von der Geburt des armen Königs“, sichtlich entzückt und die Namen „Jesus“ und „Bethlehem“ förmlich auf der Zunge zergehen lassend, wie die Quellen berichten: „Aus Greccio wird gleichsam ein neues Bethlehem. Hell wie der Tag wird die Nacht, und Menschen und Tieren wird sie eine Wonne.

Der Jesusknabe war in vielen Herzen vergessen. Da wurde er ihnen mit seiner Gnade durch seinen heiligen Diener Franziskus wieder erweckt und zu eifrigem Gedenken eingeprägt.“ Kirchen- und Kulturhistoriker verweisen freilich darauf, dass dieses Bestreben, sich die Erzählungen der Bibel möglichst plastisch und sinnenfällig vor Augen zu führen, auch einem Zeittrend entsprach. Die heimkehrenden Kreuzfahrer hatten viel von Palästina erzählt, und man fühlte sich den Stätten näher, wo Jesus gelebt hatte, wo er geboren und gekreuzigt worden war.
Und dann kamen die Pilger
Bald nach diesem denkwürdigen Heiligen Abend, so berichtet die Legende, ereigneten sich in der Gegend von Greccio die ersten Wunder – und zwar, wie es zu Franziskus passt, zunächst an kranken Pferden und anderen Tieren. Wenn sie von dem ehrfürchtig aufbewahrten Heu aus der Weihnachtskrippe fraßen, wurden sie gesund. Aber auch Frauen, die unter schmerzhaften und langdauernden Geburtswehen litten, ließen sich das heilkräftige Heu auflegen und hatten eine glückliche Geburt. Und dann kamen die ersten Pilger.

Es überrascht nicht, dass man schon bald nach Franziskus’ Tod (1226) an der Felsgrotte von Greccio ein Kirchlein baute und im Lauf der Zeit etliche Klöster. „Später wurde die Stelle, an der die Krippe gestanden, dem Herrn als Tempel geweiht“, berichtet wieder Thomas von Celano, „und zu Ehren des hochseligen Vaters Franziskus über der Krippe ein Altar errichtet und eine Kirche gebaut, damit dort, wo einst die Tiere das Heu fraßen, in Zukunft die Menschen zum Heil der Seele und des Leibes das Fleisch unseres Herrn Jesus Christus genießen könnten, der in höchster und unaussprechlicher Liebe sich selbst für uns hingegeben hat …“
Apostolisches Schreiben
Der letzte Kirchenbau im Bereich der altehrwürdigen Felsgrotte datiert von 1982. Im folgenden Jahr besuchte Johannes Paul II. Grotte und Kirche. 2019 kam Papst Franziskus zu der seinem Namenspatron geweihten Klosteranlage und machte dort sein Apostolisches Schreiben „Admirabile Signum“ über den Wert der Krippenfrömmigkeit publik. „Wenn wir die Weihnachtsszene betrachten“, heißt es hier, „sind wir eingeladen, uns geistig auf den Weg zu machen, angezogen von der Demut dessen, der Mensch wurde, um allen Menschen zu begegnen. Und wir entdecken, dass er uns so sehr liebt, dass er sich mit uns vereinigt, damit auch wir uns mit ihm vereinigen können.“