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Fotoausstellung über Selbstverletzungen und die Heilkraft von Tattoos

Das Krankenhaus-Museum in Bremen zeigt Menschen, die mit Tätowierungen ihre Selbstverletzungen auf Armen und Beinen überdecken.

Der Tätowierer Daniel Bluebird aus Lüneburg ist einer der wenigen, die sich zutrauen, Narben zu überdecken.
Der Tätowierer Daniel Bluebird aus Lüneburg ist einer der wenigen, die sich zutrauen, Narben zu überdecken.Ueberwunden

Narben auf der Haut und auf der Seele – darüber berichten sieben Frauen und ein Mann in der Ausstellung „Überwunden“, die das Krankenhaus-Museum Bremen zeigt. Sie sprechen über psychische Krisen und über Verletzungen, die sie sich zugefügt haben. Sie schildern ihren Weg, mit therapeutischer Hilfe ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen bis hin zum Besuch im Tattoo-Studio, um durch eine Tätowierung ihre selbst zugefügten Narben auf Armen oder Beinen zu überdecken.

Keine Freunde, Mobbing in der Schule, Übergewicht – Lilly aus Göttingen erzählt von ihrem Weg in die Depression. „Mein Vater hat uns früh verlassen, und ich habe mir die Schuld dafür gegeben“, sagt die 19-Jährige. Sie habe sich wie eine Leiche gefühlt, die keine Gefühle zeigen konnte und keine Zukunft für sich gesehen habe. Nur durch das Schneiden mit Rasierklingen auf der Haut habe sie ihren Körper gespürt. „Erst da habe ich gemerkt, dass ich noch lebe. Diese Selbstverletzung wurde zur Sucht“, sagt sie in dem Interview, das in der Ausstellung in einem Film gezeigt wird und an Texttafeln in Ausschnitten nachzulesen ist.

Tattoos verdecken Narben

Eine Verhaltenstherapie mit zeitweisem Klinikaufenthalt und der Einnahme von Psychopharmaka habe dazu beigetragen, dass sie sich seit drei Jahren nicht mehr selbst verletzt. Geholfen habe auch eine Blume als Tätowierung auf ihrem Arm, die die Narben überdeckt. Lilly: „Diese Blume habe ich in der Vergangenheit immer wieder gezeichnet, sie ist für mich ein Symbol für meinen Lebenswillen.“

In der Ausstellung sind viele Fotos nach dem Muster „vorher-nachher“ zu sehen. Daniel Bluebird aus Lüneburg hat die Tattoos gestochen. Zu ihm kommen Menschen von weither, nachdem sich herumgesprochen hat, dass Bluebird einer der wenigen Tätowierer ist, die sich das Überdecken von Hautnarben zutrauen.

Er zählt die Gründe auf, warum Menschen zu ihm kommen: Sie wollen nicht mehr wegen ihrer Narben angestarrt werden. Sie wollen sich selbst wieder schön finden. „Eine Frau hat sich wegen ihrer Narben auf Armen und Beinen 15 Jahre nicht getraut, T-Shirts und Röcke zu tragen. Durch die Tattoos hat sie Freiheit gewonnen“, sagt Bluebird. Er widerspricht damit der Meinung, dass Menschen mit Selbstverletzungen auf sich aufmerksam machen wollen.

Das bestätigt Saskia. Die 21-Jährige arbeitet als Krankenschwester und hat bei großer Hitze immer eine Weste bei der Arbeit getragen. „Ich habe die Narben extrem versteckt. Wegen der Krankenhaushygiene ist das aber ein Riesenproblem“, sagt Saskia. Das Tattoo auf ihrem Oberarm ist für sie die Lösung – wegen der Tätowierung wird sie nicht mehr angestarrt.

Mittel gegen negative Gedanken

In der Ausstellung gibt es bei jeder Person eine Vitrine, in der Gegenstände zu sehen sind, die geholfen haben, von der Selbstverletzung loszukommen. Bei Saskia sind das drei von ihr gemalte Bilder – das Malen mit Pastellkreide sowie der Tanzsport waren ihr Mittel gegen negative Gedanken, die auftraten, wenn die Eltern sich mal wieder lautstark stritten oder die Mutter mit Selbstmord drohte.

Ritzen – das ist der verbreitete Begriff für Menschen, die sich selbst verletzen. Die Ausstellung verzichtet auf dieses Wort bewusst, um deutlich zu machen, dass selbstverletzendes Verhalten sich auch in anderer Form wie Essstörung sowie Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauch äußern kann. Wie kann man als Außenstehender darauf reagieren? „Ich würde raten, erst mal vorsichtig zu fragen, ob man etwas für diese Person tun kann“, sagt Lilly. Auch andere Protagonisten in der Ausstellung berichten, dass ihnen eine Vertrauensperson geholfen habe, den Weg in eine Therapie zu finden.

„Überwunden – Tattoos auf Narben der Vergangenheit“ läuft bis 14.7. im Krankenhaus-Museum Bremen, Züricher Str. 40, Mi-So 11-18 Uhr.