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Forschungsprojekt zu Papst und Juden erhält 15-Millionen-Förderung

Zufällig haben Historiker in Vatikan-Archiven Tausende Hilferufe bedrohter Juden an Pius XII. entdeckt. Sie versprechen neue Erkenntnisse, was der Papst über den Holocaust dachte. Jetzt gibt es eine Millionen-Förderung.

“Das ist wie Sechs Richtige im Lotto”, freut sich Hubert Wolf (66): Für seine Forschungen zu Papst Pius XII. und dessen Haltung zum Holocaust erhält der Münsteraner Kirchenhistoriker eine Langzeitförderung von sage und schreibe 15,4 Millionen Euro. Das teilte die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften am Freitag in Mainz mit. Das von ihr vergebene sogenannte Akademienprogramm für geisteswissenschaftliche Studien ist weltweit einzigartig. Die Finanzierung erfolgt zu gleichen Teilen durch Bund und Länder.

An Pius XII. scheiden sich die Geister. Spätestens seit Rolf Hochhuth 1963 sein Drama “Der Stellvertreter” auf die deutschen Theaterbühnen brachte, ist die Frage nach der moralischen Verantwortung des Weltkriegs-Papstes angesichts des Holocausts nicht verstummt. Eine im Vatikan erwogene Seligsprechung von Eugenio Pacelli ist – nicht nur bei Juden – höchst umstritten.

Wolf forscht seit Jahren unter anderem zu der Frage, was Pius XII. (1939-1958) über den Holocaust wusste und warum er zur Verfolgung der Juden öffentlich geschwiegen hat. Geplant war auch eine Biografie über Pacelli, der von 1920 bis 1929 als Botschafter des Vatikans in München und Berlin wirkte.

Doch das Forschungsinteresse verschob sich: Nachdem der Vatikan 2020 die Archive zum Pontifikat Pius’ XII. geöffnet hatte, entdeckte das Historiker-Team dort – eher zufällig – ein bis dahin völlig unbekanntes Thema: knapp 9.500 Bittschreiben, die europäische Juden zwischen 1939 und 1945 in höchster Not an den Papst richteten.

Der Historiker entwickelte daraus ein ganz neues Forschungsprojekt: “Asking the Pope for help” (Den Papst um Hilfe bitten), das von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft und dem Auswärtigen Amt für fünf Jahre gefördert wurde. Die jetzt bewilligte Akademieförderung ist auf 25 Jahre angelegt.

Wolf selbst betont, dass die Bittschreiben, die vielfältigen vatikanischen Reaktionen und die komplizierten Entscheidungsprozesse – Wolf spricht von einem “gewissen Chaos” – für das Verständnis des Verhaltens von Papst und Kurie im Krieg von entscheidender Bedeutung seien. Der damalige Deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl, Bernhard Kotsch, erklärte im Januar, das Vorhaben stehe im deutschen Staatsinteresse.

Waren der Papst und seine Mitarbeiter bereit, verfolgten Juden zu helfen? Wie verbreitet waren antisemitische Einstellungen in der Kurie? Diesen Fragen geht Wolf ebenso nach wie der Frage, wer die Bittsteller waren und mit welcher Begründung sie sich an den Papst wandten. “Ihre Bitten, aus ganz Europa stammend und in verschiedenen Sprachen und Stilen verfasst, spiegeln die ganze Vielfalt jüdischen Lebens wider, schildern eindrücklich erlebtes Leid und zeugen von Hoffnung auf Rettung”, schreibt das Forschungsteam. Es gehe darum, ihre Stimmen wieder hörbar zu machen.

Mehr als 2.000 Schreiben haben Wolf und sein Team bislang gelesen – und daraus erste vorsichtige Schlüsse gezogen. Der Historiker betont, dass eine Konzentration auf Pius XII. allein zu kurz greifen würde. Der Papst habe geschätzte zehn Prozent der Bittschreiben selber gelesen und sei dann meist den Handlungsvorschlägen seiner Mitarbeiter gefolgt. Deutlich werde auch, dass es in der Kurie sowohl klare Antisemiten als auch sehr judenfreundliche Mitarbeiter gegeben habe.

Es sei davon auszugehen, dass das Kirchenoberhaupt und die Kurie sehr detailliert über die Situation der Juden informiert waren – und über Handlungsoptionen stritten. Und dass der Heilige Stuhl oft half: mit Geld oder bei der Ermöglichung von Auswanderungen. Er organisierte Visa und Pässe und finanzierte Schiffspassagen. Den Vorwurf, dass Pius allein getauften Juden geholfen habe, sieht der Historiker nach erster Einschätzung nicht bestätigt.

Wolf will bei der Auswertung und Veröffentlichung dieses einmaligen historischen Quellenbestandes auf digitale Technik zurückgreifen. Wie sonst wäre diese Sisyphos-Arbeit zu bewältigen? Die 17.386 Seiten umfassenden Bittschreiben liegen verteilt in 1.100 Archivschachteln in sechs Vatikanischen Archiven. Sie sind in 17 Sprachen und zu 55,3 Prozent handschriftlich verfasst, betont der Historiker. Das Material zur Entscheidungsfindung in der Kurie beläuft sich auf 56.329 Blatt in zwölf Sprachen und ist zu 58,7 Prozent handschriftlich.

Mit Hilfe von KI sollen die Entscheidungswege innerhalb der Kurie analysiert und anschaulich dargestellt werden. In einer Datenbank werden die biografischen Informationen zu Bittstellern und vatikanischen Entscheidern aufbereitet und mithilfe computergestützter Methoden ausgewertet. Auf einer benutzerfreundlichen, mehrsprachigen Webseite sollen die Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.