„Kriege beginnen nicht mit Gefechtslärm, sie beginnen mit Stille.“ Dieser Satz, zitiert aus der Erinnerung des Erzählers, leitet einen der eindrücklichsten Dokumentarfilme der letzten Jahre ein. Ein Prolog, der direkt ins Herz der Finsternis, ins Innere eines Kriegs führt. Es ist der 24. Februar 2022 in Mariupol, einer Stadt im Südosten der Ukraine, nicht weit von der russischen Grenze. Es ist ein regnerischer Morgen und noch ahnt niemand der damals rund 440000 Einwohner, welches Grauen unmittelbar bevorsteht.
Wir folgen den Kamerabildern von Mstyslaw Tschernow, einem ukrainischen Reporter und Filmemacher, dessen Foto- und Filmmaterial Zeugenschaft ablegen werden, über die Gräuel der ersten Kriegstage nach dem russischen Überfall. In „20 Tage in Mariupol“ dokumentiert der zum Kriegsreporter gewordene Journalist die Invasion, die Belagerung, die Bombardierung und das Sterben. Seine Aufnahmen nach dem Angriff auf eine Geburtsklinik werden zum Sinnbild für die Gewalt in diesen ersten Kriegstagen. Für seinen Film hat Tschernow einen Bafta-Filmpreis erhalten. Die Bafta-Awards sind die wichtigsten nationalen Filmpreise Großbritanniens.
Mstyslaw Tschernow zeigt das Auseinanderbrechen einer Stadtgesellschaft
Es sind 20 Tage, die vor Augen führen, wie Krieg funktioniert, dass er niemals nur ein präziser Kampf zwischen zwei sich feindlich gegenüberstehenden Armeen ist, sondern ein kalkulierter Angriff auf eine Zivilbevölkerung, um den eigenen politischen Forderungen größtmöglichen Nachdruck zu verleihen. Tschernow, manchmal allein, später mit Rettungs- oder Ordnungskräften in den umkämpften Gebieten der Stadt unterwegs, filmt nicht nur die Zerstörung von Wohnhäusern, Schulen, Einkaufszentren sondern auch das Auseinanderbrechen einer Stadtgesellschaft. Extremsituationen bringen auch die Extreme in Menschen hervor, die guten und die schlechten.
Eine Triggerwarnung sei dieser Empfehlung mitgegeben: Der Film ist schonungslos. Tschernow zeigt tödlich verwundete Kinder, Massengräber und Menschen im Ausnahmezustand. Wir blicken in tief traumatisierte Gesichter und einen hoffnungslosen Abgrund. Man kann die Arbeit dieser sogenannten „Embedded Journalist“, die unter gefährlichsten Bedingungen arbeiten, um der Kriegspropaganda etwas entgegenzusetzen, nicht hoch genug einschätzen.
20 Tage in Mariupol: Mo, 19. Februar um 22.50 Uhr im Ersten und in der ARD-Mediathek bis 19. Mai