Vor dem Schlafengehen keine News: Fachleute warnen vor zu viel Nachrichtenkonsum am Abend – zum Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel mahnen sie zu Pausen. Zuviel Tiktok gefährde die psychische Gesundheit.
Krieg und Konflikte scheinen fast allgegenwärtig: In der Ukraine, im Sudan oder in Nahost wird gekämpft, gelitten und gestorben. Um die psychische Gesundheit zu schützen, warnen Wissenschaftler vor Nachrichtenkonsum am Abend – und vor Tiktok. Es sei empfehlenswert, mindestens drei bis vier Stunden vor dem Einschlafen keine Nachrichten mehr zu sehen, sondern diese, inklusive der Bilder, eher am Morgen und Mittag zu schauen, sagten die Trierer Medienwissenschaftler Marion G. Müller und Patrick Nehls der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Sonntag.
Und weiter: “Für Kinder und Jugendliche ist die Nutzung der Internetplattform Tiktok ein hohes Risiko, da dort ungefiltert Gräuelvideos aus Kriegen zwischen Unterhaltungsvideos gezeigt werden.” Ratsam sei, für Nachrichten andere Internetkanäle zu nutzen.
Müller und Nehls äußerten sich im Vorfeld des Jahrestags des Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Sie erforschen die Reaktionen von Beobachtern, die den Krieg über die Medien verfolgen. Dafür läuft an der Uni Trier das Projekt “Visuelle Kommunikation in Zeiten des Krieges. Empathische Rezeption von Online-Bildern im Ukraine- und Israel/Gaza-Krieg”. Das in diesem Jahr gestartete Projekt ist auf mehrere Jahre angelegt und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.
Die psychischen Schutzmechanismen der Zuschauenden seien individuell verschieden, erläutern die Wissenschaftler. Allgemein gültige Tipps zur Steigerung der persönlichen Widerstandskraft können sie daher nicht geben. Auch in moderierte Nachrichtensendungen eingebettete Kriegsbilder könnten traumatisch wirken: “Vor allem dann, wenn sich die Zuschauer mit den gezeigten leidenden, verletzten oder getöteten Kriegsopfern identifizieren.” Bilder, die leidende Personen in sozialen Rollen zeigen – also etwa in der Vater- oder Mutterrolle – riefen dabei die stärksten Reaktionen hervor.
Momentan sei die allgemeine Krisensituation so dramatisch wie seit der Hochphase des Kalten Kriegs und des Vietnam-Kriegs nicht mehr, haben die Forscher analysiert. Zudem sei insbesondere der Ukraine-Krieg geografisch sehr nah und die akute Bedrohung durch Russland auf einem nie gekannten Niveau.
Die Medienwissenschaftler empfehlen daher, sich in Familie und Freundeskreis über belastende Kriegsinformationen auszutauschen. Sinnvoll sei allerdings, diese Gespräche zeitlich zu begrenzen. Es brauche auch das wechselseitige Vertrauen, sich aufeinander verlassen zu können.
“Wir müssen auch Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass die aktuelle Lage zwar schwierig ist, aber dass für die Kinder in Deutschland – fern vom Kriegsgeschehen – keine unmittelbare Gefahr durch Bomben und Kämpfe ausgehen”, erklären Müller und Nehls. Es gelte, sich auf positive soziale Kontakte und die eigenen Ressourcen zu konzentrieren und ein Gegengewicht zur empfundenen Ohnmacht der Kriegsbetrachtung zu schaffen.
Ausgleichende Aktivitäten wie Gesellschaftsspiele, Sport, gemeinsames Kochen und Backen oder Basteln hörten sich zwar banal an – sie würden aber helfen, um von dem über die Medien wahrgenommenen Kriegsgeschehen abzuschalten, betonen Müller und Nehls. Wichtig sei, die visuellen “Belastungen der digitalen Welt” zu verarbeiten beziehungsweise zu überschreiben – mit neuen Erlebnissen und Eindrücken im analogen Leben. PC-Spiele seien dafür nicht das geeignete Mittel.
Eine hohe Empathie für das gezeigte Kriegsgeschehen kann nach Erkenntnissen der Wissenschaft aktives, soziales Verhalten fördern – etwa Spendenbereitschaft und politisches Engagement. Zugleich könne eine starke empathische Reaktion aber auch überfordern und für Traumatisierung verantwortlich sein.
Von starkem Mitgefühl und Gerechtigkeitsempfinden geleitet, bestehe die Gefahr eines Burnouts durch Engagement. Menschen mit überdurchschnittlichem sozialem Verantwortungsgefühl drohe bei Fortdauer von Krieg und Leid eine “Mitgefühlserschöpfung”. Gerade diese Personen bräuchten daher bewusste Auszeiten vom permanenten Strom der Nachrichten.