Ein Notfallknopf in der Hosentasche könnte manchmal sehr beruhigend sein. Ein SOS-Knopf, mit dem sich Hilfe herbeirufen lässt, der zugleich den eigenen Standort übermittelt, die Kamera auslöst und die Audioaufzeichnung des Smartphones startet. Praktisch wäre, wenn die App auf Wunsch auch noch einen „Fake-Anruf“ auslösen könnte – das Smartphone klingelt, als ob jemand dran wäre. Das kann dem Nutzer helfen, aus einem unangenehmen Gespräch zu entfliehen.
Das alles gibt es, ein solches Sicherheitsprogramm für Android und Apple heißt etwa „Woman’s Safety App – I’m safe“. Entwickelt hat es die 2022 gegründete Softwarefirma „Free2live Tech Solutions Private Limited“ im südindischen Chennai, früher als Madras bekannt. Die App war zuallererst für indische Frauen gedacht. Dass es sie nun auch in deutscher Sprache gibt, liegt an der Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal in Korntal-Münchingen (Kreis Ludwigsburg), wie diese jüngst in einem Pressegespräch bekanntgab.
Die Korntaler Diakonie hat nach eigenen Angaben ihre direkten Kontakte nach Indien genutzt und eine deutsche Übersetzung der App organisiert und bezahlt. So kommt es, dass die indische Entwicklerfirma auf ihrer Website als internationale Partner nicht nur Einrichtungen wie das „National Council of Women Australia“ und den in Hongkong gegen moderne Sklaverei arbeitenden „Mekong Club“, sondern auch die „Diakonie der Evangelischen Brüdergemeinde Korntal“ listet.
Die indischen Entwickler haben auch eine kostenpflichtige Sicherheits-App für Firmen programmiert, die unter anderem anonyme Hinweise bei Mobbing oder Korruption erlaubt. Die „Woman’s Safety App“ hingegen ist für den kostenlosen Privatgebrauch gedacht – nicht nur von Frauen. In ihr kann der Nutzer die Privatkontakte angeben, die bei einem Druck auf den „Notfallknopf“ automatisch alarmiert werden. Der aktuelle Standort wird per GPS ermittelt. Die Alarmierten können dann einen Rückruf versuchen, selbst zu Hilfe eilen oder die Polizei informieren. Automatische Fotos und Audioclips dokumentieren das Geschehen.
Der Notfall kann am Smartphone ausgelöst werden – oder per separat zu kaufendem Notfallknopf. Er kann etwa am Rucksack befestigt oder in der Hosentasche versteckt werden und ist per Bluetooth mit dem Smartphone verbunden. Der Nutzer kann sich mit der App auch von nahen Angehörigen „tracken“ lassen. So weiß etwa eine Mutter, wo sich ihre Tochter gerade aufhält. Der Nutzer weiß von diesem Tracking und kann es auch selbst wieder beenden.
Sexueller Missbrauch ist nicht nur in Indien ein großes Thema, auch in der Korntaler Diakonie ist die Aufarbeitung der eigenen Fälle von Gewalt in den 1950er bis 1980er Jahren noch nicht zu Ende. Betroffene, die sich noch nicht gemeldet haben, haben weiterhin die Möglichkeit, sich an eine neutrale Stelle zu wenden, und es gibt weiterhin Treffen mit Betroffenen. Die Übersetzung der App ist auch eine Folge dieser Aufarbeitung.
Dabei waren zuerst die eigenen Mitarbeiter, Kinder und Jugendlichen im Blick. „Es war klar, dass die App dafür in deutscher Sprache sein musste“, sagt Geschäftsführer Andreas Wieland. Die App sei nun aber überall auch in deutscher Sprache frei zu nutzen. Die Korntaler Diakonie erhält dafür kein Geld. „Wir leben damit unsere Liebe für ‘Sichere Orte’ und den Schutz von Menschen, die vulnerabel sind“, sagt Wieland.
Im indischen Delhi wurde die dort bereits sehr bekannte App in diesem Jahr von der „National Commission for Women (NCW)“ mit dem „Tech Innovator Award“ ausgezeichnet. Doch Wieland hat die indischen Entwickler bereits auf die „einschränkende“ Namensgebung angesprochen. Diese möchten auch in Zukunft daran festhalten, weil Sicherheit in Indien vor allem bei Frauen heiß diskutiert wird. „Man kann aber in der App auch angeben, dass man ein Mann ist“, zerstreut Wieland alle Befürchtungen, dass diese „Chennai-Korntal-App“ nur etwas für Frauen sei. (2158/25.09.2024)