Neubrandenburg. Bis vor anderthalb Jahren hatte er noch nie etwas von der Kirchenbibliothek von St. Marien gehört, erzählt Ralf von Samson. „Das war eine echte Überraschung“, erinnert sich der Pastor der Johannisgemeinde. Nachdem die Marienkirche in den letzten Kriegstagen 1945 durch einen Brand zerstört worden war, wurde St. Johannis zur neuen Hauptkirche von Neubrandenburg ernannt und übernahm die frühere Mariengemeinde. Sozusagen als Erbstück erwarb sie damit auch einen über vierhundert Jahre alten Bücherschatz.
Bereits im 16. Jahrhundert hatte die Gemeinde St. Marien mit dem Aufbau einer Bibliothek begonnen. Eifrig wurden kostbare Bände zusammengetragen. Wer etwas auf sich hielt und es sich leisten konnte, schenkte der Gemeinde ein wertvolles Buch, so wie der Neubrandenburger Pastor Georg Schirmer, der im Jahr 1585 seinen privaten Buchbestand der Kirche übergab. Diese Bibliothek war damals in einem kleinen Anbau an der Marienkirche untergebracht.
Mehr als 400 Bände
Beim großen Stadtbrand 1676 fielen die Bücher jedoch den Flammen zum Opfer. Aber die Gemeinde begann sofort, eine zweite Sammlung aufzubauen, die man nun im Pfarrhaus verwahrte. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde der Bestand, der der Bildung und Amtsführung der Pastoren dienen sollte, ständig erweitert. Wahrscheinlich weil sie die historischen Bücher nicht mehr adäquat lagern konnte, übergab die Gemeinde sie 1977 an den Oberkirchenrat in Schwerin.
Ab 1986 wurden die 916 Titel in 462 Bänden im Landeskirchlichen Archiv in der Rostocker Nikolaikirche aufbewahrt und das Wissen über ihre Existenz geriet in Neubrandenburg in Vergessenheit. Im Rahmen des Projekts „Historische Kirchenbibliotheken in Mecklenburg-Vorpommern“, das die Nordkirche und die Universitätsbibliothek Rostock 2016 bis 2017 gemeinsam durchführten, wurde die Sammlung schließlich wiederentdeckt.
Weil die Bestände nun restauriert und dokumentiert sind, konnten sie nach Neubrandenburg zurückkehren und lagern seit kurzem in den Magazinräumen der Regionalbibliothek in unmittelbarer Nähe zur Marien- und zur Johanniskirche. „Wir freuen uns, dass diese Bibliothek ihre Odyssee so gut überstanden hat“, meint Cornelia Chamrad von der Rostocker Universitätsbibliothek. Sie sei begeistert davon, wie viele kostspielige Pergamenteinbände die Sammlung aufweist: „Es wurden zum Teil wunderschöne Papiere verwendet beim Druck. Das zeigt, wie wohlhabend die Schenker waren.“