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Ein Kühlschrank auf der Wiese – Gegen Lebensmittelverschwendung

“Food Waste”, also die Verschwendung von Lebensmitteln, ist in den Industrieländern ein massives Problem. Freiwillige in der Schweiz gehen ungewöhnliche Wege, um Lebensmittel zu retten – mit Erfolg.

Ein Junge und seine Mutter nähern sich dem Schrank, legen ein Brot hinein und gehen wieder. Kurz darauf öffnet ein Mann mittleren Alters die Tür, begutachtet das Brot, holt außerdem eine Schachtel mit Keksen heraus, legt jedoch alles wieder zurück. Im Moment braucht er davon nichts.

Die drei Menschen in Bern hatten alle ein kurzes Rendezvous mit “Madame Frigo” – mit der kühlenden Dame für gemeinschaftliche Lebensmittel. In der Schweizer Hauptstadt steht die wohlwollende Frau in Form eines Schrankes an verschiedenen Orten. Sie hält ein Abteil frei für Lebensmittel, die abgekühlt werden müssen, und eines für solche, die das nicht benötigen.

Das Konzept funktioniert einfach: Hast du zu viele Lebensmittel eingekauft? Reist du in die Ferien – und Käse, Äpfel oder Joghurt werden während deiner Abwesenheit verderben? Oder bist du auf dem Weg nach Hause und brauchst noch etwa einen Snack? Dann kann jeder und jede Essen, das genießbar ist, in den Schränken deponieren oder sich bedienen. Gratis, rund um die Uhr, ohne Anmeldung, Schloss oder Passwort.

“Gemüse, Obst, Brot, verschlossene Produkte und Produkte, die das Verbrauchsdatum noch nicht überschritten haben, dürfen reingelegt werden”, erklärt Marilen Zosso, Geschäftsführerin von “Madame Frigo”. Alkohol ist dagegen tabu, weil die Kühlschränke für alle zugänglich sind, also auch für Kinder. “Und weil wir die Kühlkette nicht hundertprozentig garantieren können, ist es an den meisten Standorten auch nicht erlaubt, Fleisch oder Fisch reinzulegen.”

Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, “in der Schweiz den Food Waste zu verhindern”, sagt die 30-Jährige. Unter “Food Waste” versteht man die Verschwendung jener Lebensmittel, die auf dem Weg vom Acker bis zum Teller verloren gehen oder weggeworfen werden. Zum Beispiel Äpfel, die nicht schön genug aussehen, oder Karotten, die zu krumm sind. Aber auch Nahrungsmittel, die in Lagerhallen oder während des Transports verderben, zählen dazu.

Doch die Verschwendung von Lebensmitteln ist längst nicht nur ein Problem der Industrie. In der Schweiz gehen 28 Prozent davon aufs Konto von Privathaushalten. Täglich werden schätzungsweise 250 Gramm Lebensmittel pro Person verschwendet; das sind im Jahr über 90 Kilogramm. In Deutschland sieht es nur wenig besser aus: Hier wirft jeder Verbraucher im Schnitt pro Jahr 78 Kilogramm Lebensmittel weg.

Bei den Privathaushalten setzt “Madame Frigo” an, appelliert und sensibilisiert – mit Erfolg. Von Jahr zu Jahr wechseln über die kühlenden Schränke mehr Lebensmittel ihre Besitzer. Zosso: “2023 konnten wir über 200 Tonnen Lebensmittel vor der voreiligen Entsorgung retten.”

Entstanden ist das Projekt vor neun Jahren, als sich vier Studentinnen in Bern zusammenschlossen und den ersten öffentlichen Kühlschrank aufstellten. Sie gründeten einen gemeinnützigen Verein, der über Spenden und Sponsoring sowie verschiedene Partner bis heute finanziert wird – unter anderem durch den Haushaltsgeräte-Hersteller Electrolux, der die Kühlschränke zur Verfügung stellt.

Das Projekt fand schnell Anklang, seit 2018 steigt die Zahl der Standorte in der ganzen Schweiz kontinuierlich. “Möglich machen es auch die über 500 freiwillige Helferinnen und Helfer”, sagt Geschäftsführerin Zosso. “Unter anderem kontrollieren sie die Kühlung und die Lebensmittel und putzen die Kühlschränke.” Jede “Madame Frigo” werde von drei bis vier Freiwilligen betreut.

Das Projekt wachse organisch, betont Zosso. “Die Initiative, einen öffentlichen Kühlschrank aufzustellen, kommt von den Privatpersonen, von Gemeinden oder von Institutionen, die auf uns zukommen.” Der Verein stelle den Kühlschrank zur Verfügung, unterstütze mit Kommunikationsmaterial und kläre alles Rechtliche ab.

Immer wieder einmal trifft man auf einen leeren oder fast leeren Kühlschrank. “Das Ziel ist nicht, dass die Kühlschränke voll sind, sondern dass die neuen Lebensmittel schnell wieder weggehen”, sagt Zosso. Helfer und Helferinnen holten regelmäßig Lebensmittel nach Ladenschluss ab, etwa bei Bäckereien, und füllten damit die Kühlschränke. “Meistens dauert es weniger als eine Stunde – und der Kühlschrank ist wieder leer.” Gerade in den größeren Städten wie Bern und Zürich werde das Angebot rege genutzt.

Leer ist also ein gutes Zeichen. Die Zahl der Standorte liegt inzwischen bei 150. “Wir kennen weltweit kein Projekt, das so funktioniert wie Madame Frigo in der Schweiz”, sagt Zosso. In anderen Ländern schränkten mitunter strengere Lebensmittelgesetze den Austausch von Essen ein. Auch der Name ist übrigens schweizerisch – Frigo bedeutet auf Berndeutsch “Kühlschrank”.