Als am 8. September 2022 die Ärzte der Queen wissen ließen, dass die Gesundheit ihrer Patientin Anlass zur Sorge gebe und kurz darauf die Nachricht kam, die Kinder und Enkelkinder wären auf dem Weg nach Schloss Balmoral, da wusste man: Es geht zu Ende. Am frühen Abend kam die Nachricht. Die bekannteste Frau der Welt war tot – und ihr Sohn Charles König.
Die mit 96 Jahren gestorbene Elizabeth II. war 70 Jahre Königin; kein Monarch hatte vor ihr jemals so lange das Land regiert. Von einem Generationenwechsel konnte man nur bedingt sprechen. Schließlich war der Nachfolger mit 73 Jahren der älteste in der Geschichte der englischen Monarchie, und seine Frau Camilla hatte eben erst ihren 75. Geburtstag gefeiert. In diesem Jahr hat die englische Königsfamilie der Welt gezeigt, was sie am besten kann: Pomp. Erst bei der Beerdigung der Queen am 19. September, dann bei der Krönung von Charles am 6. Mai. Die Bilder beeindruckten; und ließen für Momente die großen Herausforderungen nach hinten treten, die den König noch über Jahre beschäftigen werden.
Familienstreit wird zum Kulturkampf-Thema
“Schwer ruht das Haupt, das eine Krone drückt”, wusste schon William Shakespeare, dessen Verse der König auswendig rezitieren kann. Und schwer dürfte Charles ruhen können, wenn er an seinen jüngsten Sohn Harry denkt, der für ihn mehr als nur ein persönliches Problem darstellt. Seit dem öffentlich vollzogenen Bruch mit den Royals lebt Harry seit 2020 mit seiner Frau Meghan sowie den beiden Kindern Archie und Lilibet in Kalifornien. Mit spektakulären Interviews, Rassismus-Vorwürfen, Netflix-Dokus und und seiner Autobiografie “Reserve” hat der Prinz die Familie gegen sich aufgebracht. Nach Angaben der Charles-Biografin Catherine Mayer leiden der König, William und Harry gleichermaßen unter dem Bruch.
Die englische Presse weitete den Familienstreit zu einem Kulturkampf-Thema aus. Auf der einen Seite Harry und Meghan, die sie als verwöhnte, Luxus liebende Sozialaktivisten und damit als “woke” darstellen; auf der anderen Seite William und Kate, die sich im traditionellen Rahmen um ihre Themen kümmern. Bei William sind es Umweltschutz und Obdachlosigkeit, bei Kate frühkindliche Erziehung. Prinz William und seine Frau Catherine stehen nun als Prinz und Prinzessin von Wales stärker im Blickpunkt, müssen mehr Aufgaben übernehmen, obwohl sie drei junge Kinder haben, die sie vorsichtig an das Leben in der Öffentlichkeit heranführen. Sie stellen die Zukunft der Monarchie dar. Denn der König weiß: Seine Zeit ist schon wegen seines Alters begrenzt.
“Working Royals” sollen Königshaus repräsentieren
William und Catherine stehen im Mittelpunkt von Charles’ Bemühungen, das Königshaus zu verschlanken. Eine kleine Gruppe von “Working Royals” soll das Königshaus repräsentieren. Dazu gehören seine Schwester Anne, sein Bruder Edward und dessen Frau Sophie sowie einige ältere Cousins und Cousinen der Queen. Auf Dauer könnte dem König schon allein aus Altersgründen das Personal ausgehen.
Aber nicht nur die Zahl der arbeitenden Royals wurde gekürzt; auch die der Pferde im Besitz des Königs. Charles hatte rund 100 Vollblutpferde von seiner Mutter geerbt; davon wurden 30 bereits versteigert. Rennpferde und ihre Zucht kosten viel Geld, symbolisieren Luxus und sind mittlerweile ins Blickfeld von Tierschützern gerückt.
Und dann sind da noch die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die auch das Königshaus betreffen: das koloniale Erbe, Sklavenhandel. Zu Lebzeiten der Queen wurde diese Diskussion nur sehr verhalten geführt. Mittlerweile steht die Frage, inwiefern das Königshaus vom Sklavenhandel profitiert hat, deutlich im Raum. Der König hat einer historischen Aufarbeitung Unterstützung zugesagt.
Wird Charles der letzte König sein?
Während die verstorbene Queen so sehr Teil des nationalen Bewusstseins war, dass die Menschen nachts von ihr träumten, muss sich ihr Sohn dieses Status erst erarbeiten. Sein Nachteil: Man weiß zu viel über ihn. Nach einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im zweiten Quartal 2023 kannten 98 Prozent der Bevölkerung den König; aber seine Zustimmungsrate lag bei nur 55 Prozent, deutlich unter der seines Sohnes William (67 Prozent), seiner Schwester Anne (63 Prozent) und seiner Schwiegertochter Catherine (62 Prozent).
Bei seiner Krönung liefen Demonstranten auf mit dem Schild “Not my king” – nicht mein König. “Hier in England gibt es mittlerweile ein großes Desinteresse an der Institution. Vor allem junge Leute sehen keine Identifikation mehr mit den Royals”, sagt die in England lebende Historikerin Karina Urbach, die mehrfach für das ZDF royale Großereignisse begleitete.
Wie stark die Zustimmung zur Monarchie in den vergangenen zehn Jahren gefallen ist, geht aus einer YouGov-Analyse hervor. 45 Prozent der Bevölkerung gehen demnach davon aus, dass es noch in 100 Jahren einen König oder Königin geben wird. 2011 stimmten noch 66 Prozent zu, als YouGov mit seiner Erhebung begann. Aber: Das britische Königshaus hat schon viele Herausforderungen gemeistert, sich immer wieder erneuert und den Zeiten angepasst. Auch für William und seinen Sohn George wird es sicher eines Tages heißen: “Long live the King!”